Woge der Begierde
einen jungen Leutnant gegeben, dessen Aufmerksamkeiten unmissverständlich gewesen waren, und eine kleine Weile hatte sie von Ehe, einem Mann und ihrem eigenen Heim geträumt. Unseligerweise war der Leutnant
in einem der namenlosen und unbedeutenderen Scharmützel in Indien gefallen, und damit hatten Daphnes Träume ein jähes Ende gefunden.
Es war ihr nie eingefallen, sich dagegen aufzulehnen oder dem Schicksal zu zürnen, dass sie sich für ihre Familie aufopfern musste - ja, die Verwendung des Wortes »aufopfern« hätte sie empört. Sie war glücklich mit ihrer Rolle, die ihr übertragen worden war, und zufrieden, ihre Tage als geliebte altjüngferliche Schwester und später als liebevolle Tante für die vielen Neffen und Nichten zu verbringen, die sie gewiss haben würde. Schließlich, so erinnerte sie sich von Zeit zu Zeit, besaß sie kein eigenes Vermögen, obwohl, wenn Sir Huxleys Ländereien sich als groß genug herausstellen sollten, Adrian entschlossen war, auch sie mit einer Mitgift zu versehen. Aprils Sanftmut und Schönheit allein reichten aus, dass sie eine anständige Ehe einging, wenigstens hatte Daphne das immer gehofft, und sie hatte sich längst mit der Tatsache abgefunden, dass sie keinesfalls mit Aprils Schönheit konkurrieren konnte. Nein, sie hatte kein wunderschönes blondes Haar oder verträumte blaue Augen, keine zierliche Gestalt. Nein, ausgerechnet sie musste das Glück haben, ihrem Vater nachzuschlagen, und auch wenn es eine Zeit gegeben hatte, da sie an ihrer Körpergröße und ihrer knabenhaften Figur schier verzweifelt war, hatte sie sich nun damit ausgesöhnt, dass sie nie eine Schönheit sein würde. Sie war eine Bohnenstange, gekrönt von einem Schopf ungebärdigen schwarzen Haares, und das war es. Manchmal jedoch, wenn sie in den Spiegel blickte und in ihre haselnussbraunen Augen und auf die fast olivfarbene Haut, die sie, wie man ihr versichert hatte, von ihrem Großvater väterlicherseits geerbt hatte, dann wünschte sie sich nur für eine kurze Weile Aprils rosa und
goldene Farbtöne. Dann aber kam es sicher bald zu einer Krise, die sie ablenkte, und sie schob diese albernen Wünsche beiseite.
Alle ihre Träume und ihre ganze Tatkraft galten dieser Tage ihren Geschwistern. Der unverhoffte Geldsegen für Adrian hatte jede Menge Türen für sie aufgestoßen, und Daphne war immer noch verwirrt angesichts der vielen neuen Möglichkeiten, die sich ihnen nun eröffneten.
Sich dem angenehmen Tagtraum hingebend, wie April in einer Vision aus Musselin und Spitze bei Almack’s ihr Debut gab, erschrak Daphne, als Adrian sie fragte: »Wie bald werden wir Vinton sehen? Hattest du nicht gesagt, er wollte herkommen?«
»Oh, das habe ich völlig vergessen«, sagte Daphne und schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein. »Goodson hat mir eine Nachricht übergeben, als ich die Treppe hinabkam - wenn es uns recht ist, würde Mr. Vinton heute Nachmittag von Penzance zu uns herausfahren und sich mit uns hier treffen.«
Nachdem Daphne einen Dienstboten mit einer Zusage losgeschickt hatte, verbrachten die drei Geschwister den Morgen unter Führung von Goodson mit einem Rundgang durchs Haus. Es kam Daphne vor, als stiegen sie immer wieder Treppen hinauf und dann wieder hinab, folgten endlosen Korridoren und bewunderten zahllose elegante Zimmer. Sie musste April beipflichten. Es würde eine ganze Weile dauern, bis sie mit dem Haus vertraut sein würden. Außer der Köchin, Goodson und Mrs. Hutton gab es eine verblüffende Anzahl Dienstboten - Spülmägde, Lakaien, Zimmermädchen, Gärtner und Stallburschen.
Als es Zeit wurde für das Treffen mit Mr. Vinton, drehte sich Daphne der Kopf. Aufgeregt und nervös wartete sie
mit Adrian in der Bibliothek, als um ein Uhr Goodson den Notar hereinführte.
Mr. Vinton war ein Mann mittleren Alters mit schütter werdendem braunem Haar, roten Wangen und klugen braunen Augen. Daphne mochte ihn auf den ersten Blick. Sobald die Förmlichkeiten erledigt waren, sie vor dem Kamin saßen und neben ihm eine Tasse Tee stand, begann er ihnen das Ausmaß von Adrians Erbe zu erläutern.
Das Haus und die Bediensteten hatten ihnen schon einen ersten Hinweis darauf gegeben, dass Adrians Erbe größer war, als zunächst von ihnen angenommen, und als Mr. Vinton damit fertig war, alles darzulegen, blickten Adrian und Daphne einander verblüfft an. Adrians ererbtes Vermögen war sehr, sehr ansehnlich, mehr als nur ein angenehmes Auskommen, auch noch nach Abzug der Mitgift
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