Woge der Begierde
mit dem schrecklichen Sturm, der um das Haus heult, will ich es nicht leugnen - es war ehrlich nicht angenehm. Ich schwöre, Daffy, ich habe jeden Augenblick damit gerechnet, Sir Huxleys Gespenst in einer Zimmerecke zu entdecken, wie es sich auf mich stürzen will.«
April setzte sich auf und schaute über Daphne hinweg zu ihrem Bruder auf dem Boden. »Denkst du«, fragte sie mit makaberem Interesse, »dass Sir Huxleys Gespenst hier spukt?«
»So etwas wie Gespenster gibt es nicht«, erklärte Daphne fest.
»Oh«, entgegnete April unverhohlen enttäuscht. »Nun, wenn es Gespenster gäbe, dann denke ich, wäre es nett, eines zu haben - und dieses Haus ist dafür wie geschaffen.«
»Wenn du so empfindest«, zog ihr Bruder sie auf, »was tust du dann hier? Wenn du ein Gespenst sehen willst, hättest du in deinem Zimmer bleiben sollen. Alle Welt weiß schließlich, dass Gespenster es besonders lieben, unschuldige Jungfrauen heimzusuchen … besonders in so stürmischen Nächten wie heute.«
April betrachtete ihn argwöhnisch, dann sah sie zu Daphne. »Stimmt das?«
Daphne schüttelte den Kopf. »Nein. Und ich wiederhole - es gibt keine Gespenster.«
Adrian öffnete den Mund, aber Daphne ließ ihn gar
nicht zu Wort kommen. »Und damit jetzt genug von Geistern und Gespenstern.« Sie drohte Adrian mit dem Finger. »Wenn du so weitermachst, verbanne ich dich in dein eigenes Schlafzimmer.«
Er grinste nur und legte sich hin. Gähnend sagte er: »Gute Nacht. Ich werde bei Tagesanbruch zurück in mein Zimmer gehen und verschwunden sein, wenn ihr aufwacht.«
Wie versprochen war Adrian, als Daphne aufwachte, nicht mehr da. Als sie und ihre Schwester den Frühstückssalon betraten, fanden sie ihn dort bereits vor. Das Eichenholzsideboard war wieder beladen mit Tabletts, Tellern und Schüsseln voller Essen - Nierchen, gebratener Schinkenspeck, dicke Scheiben Landschinken, warme knusperige Brötchen, Eier und Obst. Adrian machte sich mit einem Appetit wie ein Wolf über die angebotenen Speisen her.
Was nur gut ist, dachte Daphne, die beobachtete, wie er ein drittes Mal zum Sideboard ging, um sich nachzunehmen. Mit siebzehn war er immer noch gertenschlank, aber seine Schultern waren im letzten Jahr breiter geworden, und auch ohne Stiefel maß er mehr als sechs Fuß. Sie vermutete, dass er noch weiter wachsen würde. Ihr Vater war sehr groß gewesen, und es sah so aus, als ob Adrian die Größe seines Vaters geerbt hatte, zusammen mit dem dichten schwarzen Haar des Captains und seinen strahlend blauen Augen. Daphne hielt sich nicht für voreingenommen, aber sie fand, dass ihr Bruder einmal zu einem gut aussehenden Mann heranwachsen würde. Da er nun über ein ansehnliches Vermögen verfügte, konnte er gewiss unter einer großen Auswahl passender junger Frauen nach einer Braut Ausschau halten.
Ihr liebevoller Blick glitt weiter zu April, die gerade von
einem Brötchen mit Erdbeermarmelade abbiss. Wenn man sagen konnte, dass Adrian seinem Vater nachschlug, dann war April das Ebenbild ihrer Mutter, hatte dasselbe herrliche weizenblonde Haar, klare blaue Augen und besaß auch ihre zierliche Gestalt. Daphne hatte immer gehofft, dass Aprils sanftes Wesen und ihr hübsches Äußeres es ihr ermöglichen würden, eine gute Eheverbindung einzugehen, aber nun, da Adrian unerwartet geerbt und versprochen hatte, seiner Schwester eine Mitgift auszusetzen, hatten sich ihre Aussichten dramatisch verbessert. In angemessener Zeit konnte April sogar eine Saison in London haben … Daphnes Wangen verfärbten sich, wenn sie sich ihre kleine Schwester vorstellte, wie sie einen wohlhabenden Verehrer an Land zog, vielleicht sogar einen mit Titel.
Dass ihre Überlegungen mehr der einer Mutter mit Sohn und Tochter glichen als denen einer älteren Schwester, die durchaus eine eigene Zukunft für sich zu planen hätte, kam Daphne gar nicht in den Sinn. Da ihr Vater oft genug fort gewesen war und ihre Mutter mit dem Leben von Militärangehörigen nicht zurechtkam, war Daphne schon lange die Stütze der Familie gewesen, hatte von früh an die Verantwortung für den kleinen Haushalt übernommen. Ihre Mutter war immer schon kränklich gewesen, und als ihre Geschwister kamen, war Daphne ohne viel Federlesens in die Bresche gesprungen und hatte die Sorge für die beiden Kinder übernommen. Eine Saison für sie hatte von vornherein außer Frage gestanden, und sogar der Gedanke an eine Heirat war ihr nur einmal gekommen. Als sie achtzehn war, hatte es
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