Wogen der Leidenschaft - Roman
Händen.
» Herrgott, was war der Junge hübsch.«
» Er ist kein Junge mehr, Greta. Er ist dreißig Zentimeter größer und fast einen halben Meter breiter, und er hat einen Bart, um den jeder Waldschrat ihn beneiden könnte.«
» Zeigst du mir jetzt das Kleid, oder soll es total zerknittert werden?«
Endlich öffnete Emma die Tüte und zog langsam ihr neu erworbenes rotes Etuikleid heraus.
» Ach du meine Güte!«
Entschlossen zu zeigen, wie albern sie war, hielt Emma das Kleid an ihre Brust. Es war unten kurz und oben ebenso. Im Rücken tief ausgeschnitten, wurde es von zwei schmalen Trägern gehalten.
» Steh auf und zeig es mir«, forderte Greta sie mit einer Handbewegung auf und erhob sich selbst.
» O Gott, auf diesen Anblick habe ich seit Jahren gewartet.«
» Was?«
Sie ging um den Tisch herum und hielt das Kleid auf Emmas Schulterhöhe. Dann schüttelte sie lächelnd den Kopf. Emma starrte die Frau an, die ihr bis ans Kinn reichte, und stieß eine leise Verwünschung aus, als sie den Glanz in den Augen ihrer Freundin sah.
» Vierundzwanzig Jahre habe ich gewartet, dass du zur Besinnung kommst, Emma Jean. Das bist du. Dein wirkliches Ich. Dieses Kleid wurde für deine Schönheit geschaffen.«
Emma setzte sich wieder.
» Ich war vorübergehend geistig gestört, als ich es gekauft habe. Das bin nicht ich. Ich bin Flanell und Denim und Wanderstiefel.«
Greta griff in die Tasche und zog die dazu passenden Schuhe heraus.
» Der Absatz könnte höher sein«, sagte sie seufzend.
» Aber ich vermute, dass du dir mit noch verführererischen Schuhen den Hals brechen würdest.«
» Ich werde das Kleid nicht tragen, Greta.«
» Natürlich wirst du es tragen, Kind. Und du wirst dein Haar schön und weiblich hochstecken. Dazu trägst du die Perlen deiner Mutter.«
Emma sah sie entsetzt an.
» Man wird mich so auslachen, dass ich den Tanzsaal fluchtartig verlassen werde.«
» Ach, Unsinn. Es wird Zeit, dass die Männer aus der Gegend endlich aufwachen.« Greta legte das Kleid über einen Stuhl und setzte sich.
» Es wird Zeit, dass du aufwachst.«
» Ich werde aussehen, als versuchte ich… Eindruck auf die Leute zu machen.«
» Nicht auf die Leute, Emma Jean. Nur auf einen Mann.«
» Ben möchte ich ganz sicher nicht beeindrucken.« Sie stellte die Tasse hin, dass es klirrte.
» Hast du alles vergessen, was er gemacht hat?«
Greta starrte sie an.
» Und was genau hat er gemacht?«
» Er hat meiner Schwester ein Kind gemacht und sie verlassen.«
» Hat er das? Laut Michael hat Ben Sinclair ein ratloses und kein schwangeres junges Mädchen verlassen. Emma, er wusste es nicht. Das ergibt nach meiner Ansicht einen riesengroßen Unterschied.«
» Man munkelt, dass er den Damm in die Luft gejagt hat.«
Die einzige Reaktion, die Emma auf diese unwürdige Bemerkung erntete, war ein missbilligender Blick.
» Er wird Ärger machen, Greta, Und er wird Mikey mitnehmen.«
» Vielleicht aber nicht.« Die alte Frau lächelte.
» Wenn er dich erst in diesem Kleid sieht.«
» Greta!«
» Ach, iss deinen Kuchen auf, Emma Jean.«
Emma griff nach ihrer Gabel und stach kräftig in das große Kuchenstück. Sie hatte das Dessert auf halbe Höhe zu ihrem Mund gebracht, als die Hintertür zuschlug und Mikey eintrat.
» Ich bin da, Tante Greta. Was gibt es Gutes?«, brüllte er durch das ganze Haus.
» Ach, hi, Nem. Schon zurück von deiner Einkaufsfahrt?«
» Das ist keine Art, so hereinzuplatzen, ohne die Füße abzutreten«, sagte Emma.
Mit der Lässigkeit eines Teenagers machte er eine Show daraus, die Schuhe auf der Fußmatte abzutreten, ehe er zum Tisch schlenderte und begutachtete, was darauf lag. Er zog einen Stuhl heran, hielt aber inne, als seine Hand auf dem Kleid landete.
» Was ist denn das?« Er hielt es in die Höhe. Er blickte von Greta zu Emma, dann zurück zu Emma und stieß einen leisen Pfiff aus.
» Donnerwetter! Tante Greta, du willst heute wohl eine richtige Show abziehen?«
Er zwinkerte ihr zu, als er das Kleid an den Trägern in die Höhe hielt und es wieder prüfend ansah.
» Greta, ist es für dieses Outfit nicht zu kalt?«
Emma entriss ihm das Kleid und stopfte es zurück in die Tüte.
» Gutes Argument, Mikey. Es ist entschieden zu kalt dafür.«
» Michael, das ist das Kleid deiner Tante. Und ich borge ihr einen hübschen goldenen Schal, den sie um die Schultern legen kann.«
Einen flüchtigen Augenblick schien Mikey richtig schockiert. Und dann starrte er sie nur an.
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