Wogen der Leidenschaft - Roman
kindliche Schwärmerei für Benjamin Sinclair überwunden, da sie ihm die ganze Schuld an der verdammten Katastrophe zuschob. Anstatt zu bleiben und um Kellys Liebe zu kämpfen, hatte er sie alle im Stich gelassen, und Kelly war nur seinem Beispiel gefolgt.
Und an jenem längst vergangenen Abend war Emma klar geworden, dass sie sich letzten Endes nur auf sich selbst verlassen konnte. Sie sah den Mann ihrer Träume– und Albträume– an, der nun aus der Hintertür ins Nichts starrte. Da wurde ihr plötzlich klar, dass sie sich die letzten zehn Jahre unwissentlich an ihre Hoffnungen geklammert hatte. Ben war gekommen, um seinen Sohn zu holen, als er von dessen Existenz erfahren hatte, und er war noch eindrucksvoller geworden, als ihre Teenagerfantasie es ihr vorgegaukelt hatte.
Aber es war zu spät für sie. Sie hatte zu lange gekämpft und zu hart gearbeitet, um ihr Herz irgendwelchen Gefahren auszusetzen.
» Du solltest Mikey morgen nach Bangor zu einem Hockeyspiel der Uni mitnehmen. Das würde ihm sicher gefallen.«
Er drehte sich um. Eine Regung, die nicht zu deuten war, verdunkelte seine Augen.
» Morgen Abend?«
» Ja. Die Hockeymannschaft ist toll.«
» Das würde aber bedeuten, dass wir beide den Tanz in der Stadt versäumen.«
» Ja, vermutlich. Aber ich hätte Verständnis dafür.«
Als er auf sie zuging, erinnerte er an einen Kater auf Beutezug. Emma wich vorsichtig einen Schritt zurück und hielt einen Topfdeckel wie ein Schild vor sich.
Er packte sie an den Schultern und starrte sie nur an. Seine Hände waren warm und fest, seine Nähe war überwältigend.
» Hast du Angst, mit mir gesehen zu werden? Ist es das? Hast du Angst, mit dem Mann auszugehen, von dem du glaubst, er hätte deinen Vater getötet?«
Emma schnaubte und machte sich los. Sie kniff die Augen zusammen und stützte die Hände in die Hüften.
» Für einen intelligenten Menschen kannst du zuweilen recht schwer von Begriff sein. Du würdest nicht hier stehen, wenn ich der Meinung wäre, du hättest meinen Vater getötet.« Sie zeigte auf ihn.
» Dein einziger Fehler war es, kampflos von meiner Schwester fortzugehen.«
Sie sah, dass er zusammenzuckte, und fuhr fort:
» Ben, es sieht aus, als würde dein Verstand aussetzen, wenn du in diese Gegend kommst. Vor sechzehn Jahren war Mikey das Resultat. Diesmal könntest du einen Rundumschlag starten. Die Kahlschlag-Kontroverse zieht viel weitere Kreise als der Dammbau. Arbeitsplätze sehen auf dem Spiel, es betrifft viel mehr verzweifelte Menschen. Dazu kommt die Frage meiner Gefühle. Ich habe nicht die Absicht, nur deiner Unterhaltung zu dienen. Ich werde nicht mit dir tanzen, und ich hüpfe nicht in dein Bett, nur um dann erleben zu müssen, dass du wieder verschwindest und diesmal Mikey mitnimmst. Verstanden?«
Er zwang sie einen Schritt zurück.
» Nichts an meiner Anwesenheit hier ist unterhaltsam. Das ist die schwierigste Reise, die ich je unternommen habe. Und die wichtigste.« Emma sah ihn böse an, er aber lächelte nur.
» Danke für den Brief.«
» Der verdammte Brief kam nicht von mir!«
Er sprach weiter, als hätte sie nichts gesagt.
» Er kam zwar ein wenig verspätet, ich bin aber trotzdem dankbar.«
» Ich habe den verdammten Brief nicht geschickt«, wiederholte sie zähneknirschend.
Er umfasste ihre Schultern und küsste ihre Nasenspitze.
» Ich verzeihe dir, dass du so lange gewartet hast, weil ich es verstehen kann. Und keine Angst. Ich werde auf Mike in diesem Waldnutzungskampf aufpassen. Bei mir ist er sicher.«
Sie machte sich los und stürzte zum großen Zimmer. Als er ihren Namen rief, blieb sie stehen und drehte sich um.
» Was?«
» Es gibt noch einen Punkt, in dem du dich irrst.«
» Und der wäre?«
» Wenn ich dich in mein Bett kriege, wird Unterhaltung das Letzte sein, was ich im Sinn habe.«
Just in diesem Moment fing das Geschirr im Schrank zu klirren an, der Boden vibrierte. Emma wusste, dass es wieder nur eines der vielen kleinen Beben war, die sie in den letzten Monaten erlebt hatten, doch hatte sie plötzlich Angst, Ben hätte sogar die Naturkräfte aufgeboten, um seine Macht zu beweisen.
Sie suchte in ihrem Schlafzimmer Schutz.
9
W enn Emma hin und wieder das Gefühl hatte, von ihrer Umgebung eingeengt zu werden und den Drang verspürte zu entfliehen, wanderte sie ein Teilstück des Appalachian Trail bis zum Mount Katahdin, und mit jedem Schritt, den sie tiefer in die Wildnis eindrang, wurde die Perspektive der Dinge wieder
Weitere Kostenlose Bücher