Wogen der Leidenschaft - Roman
meine Mutter zu sein.« Sein Gesicht war scharf vor Wut und sein Kinn vorgestreckt, als er fortfuhr:
» Eigentlich war sie auch keine richtige Mutter, als sie noch da war. Meine Kindheitserinnerungen zeigen nur dich. Kelly war nur eine Frau, die bei uns gewohnt hat.«
» Das ist nicht wahr, Mikey. Deine Mutter hat dich geliebt, so sehr sie konnte.« Sie legte die Arme um seine Mitte und umarmte ihn.
» Michael, sie war innerlich so verloren. Nach Dads Tod und nachdem sie entdeckt hat, dass sie schwanger war, hat sie sich nie wieder richtig erholt. Schwäche ist kein Verbrechen, Mikey. Sie ist nur menschlich. Du musst deine Mutter trotz ihrer Mängel lieben.«
Sie seufzte, als sie spürte, wie er seine Arme unsicher um sie legte.
» Man hat ihr geraten, dich zur Adoption freizugeben, doch sie hat es nicht getan. Sie hat dich geliebt, soweit sie dazu fähig war. Sie wusste nur nicht, was sie mit dir anfangen sollte, als du zur Welt gekommen bist.«
» Du scheinst aber kein Problem mit mir gehabt zu haben.«
Als sie von ihm abrückte, war ihre Miene ernst.
» Ach was, ich hatte mehr Probleme mit dir, als ich zählen kann. Die letzten fünfzehn Jahre musste ich ständig versuchen, dir einen Schritt voraus zu sein.«
Michael ließ die Arme sinken und blickte um sich.
» Ist es hier nicht richtig unheimlich, Nem?«, fragte er leise.
Seine Worte jagten ihr Schauer über den Rücken. Sie rieb ihre Arme und blickte sich ebenfalls um.
» Ja«, hauchte sie, » jetzt, wo du es sagst…
» Ich habe das Gefühl, wir werden beobachtet«, sagte er und kam näher.
Emma versuchte, das Gefühl mit einem Schulterzucken abzutun.
» Wahrscheinlich nur ein Rotluchs. Die schnüffeln gern herum. Beim Wandern belauern sie mich oft.«
» Der Holzstapel kommt mir immer erstrebenswerter vor. Fliegen wir rasch zurück.«
Emma schüttelte sich. Es war der Wald, den sie kannten und liebten, und nicht die Szenerie eines Stephen-King-Romans. Sie ging zu Homer und holte den Vogel aus dem Käfig.
» Erst lassen wir das kleine Kerlchen losfliegen.«
Mikey holte eine Nachrichtenkapsel aus seiner Tasche.
» Was sollen wir schreiben?«
» Wer zuletzt heimkommt, ist ein faules Ei.«
Mikey lächelte beim Schreiben.
» Wie wär’s mit › Der Letzte muss das Dinner kochen ‹?«
Emma rümpfte die Nase.
» Oder das Dinner sein? Homer kann nicht kochen.«
Michael stopfte die Botschaft in die Kapsel und befestigte diese behutsam an Homer.
» Er könnte unterwegs ein paar Grillen fangen.«
Emma verdrehte die Augen und ließ den Vogel los.
» Du musst ihn dir genau ansehen, Mikey. Von dem Kleinen könntest du fliegen lernen«, sagte sie, als sie dem Vogel nachsahen, der sich in die Lüfte erhob. Er kreiste einmal über ihnen, dann noch einmal und ließ sich in einiger Entfernung auf einem Ast nieder.
» Und das will eine Brieftaube sein«, sagte Mikey.
» Sitzt da und beobachtet uns.«
» Er ist noch jung. Er weiß noch nicht, dass er sich beeilen sollte.«
Mikey schnaubte.
» Er will in der Maschine zurückfliegen. Ob der Flug seinen inneren Kompass durcheinandergebracht hat?«
» Vielleicht genießt er nur seine Freiheit«, gab Emma zu bedenken. Sie hob die Hand und beschattete ihre Augen, als sie diese zusammenkniff und zum Baum hinaufblickte.
» Oder er genießt die Aussicht.«
» Oder vielleicht werden wir ihn als Dinner haben«, sagte Mikey.
Emma reichte ihm seinen Rucksack.
» Los, Waldläufer. Wir sehen uns hier rasch um und fliegen wieder ab. Die Wolken sehen nach Schlechtwetter aus.«
Mikey folgte ihrem Blick, als er seinen Rucksack schulterte.
» Für heute Abend ist eine Kaltfront angesagt.«
» Das wäre sehr früh im Jahr.«
» Wir sind gerüstet. Es sind nur noch zwei Boote winterfest zu machen. Und der Schnee wird den Jägern gute Fährten liefern.«
» Apropos Jäger, wohin ist eigentlich Pitiful verschwunden? Die ganze Woche hat er sich nicht blicken lassen.« Emma hievte ihren Rucksack auf den Rücken.
» Ich kann nur hoffen, dass er wohlauf ist.«
» Niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, würde diesen Elch erlegen, Nem. Er ist keine Trophäe, weil ihm ein Geweihast fehlt. Und niemand würde es wagen, sein Fleisch zu verzehren, aus Angst vor einer Elchseuche oder Ähnlichem.«
Emma angelte ihr GPS heraus, schaltete es ein und studierte die Anzeige, als diese über Satellit kam.
» Ich kapiere es nicht. Warum wollte Wayne sich diese Koordinaten merken? Auf seinem Schreibtisch war alles
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