Wogen der Leidenschaft - Roman
etwas anfangen kann.«
» Er versucht es aber«, erklärte er ihr mit der Aufrichtigkeit eines loyalen Sohnes.
» Aber weißt du, was ich am besten finde?«
» Was denn?«
» Es ist mehr an ihm, als er erkennen lässt. Angeblich hat er sich hier verirrt, aber das glaube ich nicht. Ich glaube vielmehr, dass er die Begegnung hinausschieben wollte, weil er nervös war. Aber dann gibt es noch diese andere Seite an ihm. Eine unsichtbare. Es ist mehr ein Gefühl, das ich habe. Ich glaube, dass man ihm lieber nicht über den Weg laufen sollte, wenn er richtig wütend ist. Man könnte ihn auch für einen rastlosen Menschen halten, der nirgends Wurzeln schlägt, doch ich halte ihn für solide wie Granit. Und wenn es einen Kampf auszufechten gilt, möchte ich an seiner Seite und nicht auf der gegnerischen sein.«
Emma musste ihm recht geben. Es war mehr an Benjamin Sinclair, als er erkennen ließ. Es gab eine harte Seite. Vielleicht sogar eine tödliche.
Und es gab eine stark ausgeprägte beherrschte Seite.
Sie dachte an den Morgen, als sie im Wald erwacht waren, und an die Knarre, die er bei drohender Gefahr gezogen hatte. Dieselbe Waffe hatte er nicht gezogen, während vier Männer ihn besinnungslos schlugen, weil er verhindern wollte, dass die Lage bis zu einem Punkt eskalierte, an dem es keine Umkehr mehr gab.
Dies erforderte eine Stärke, die den meisten Männern fehlte.
An dem Tag, als Galen Simms sie angriff, hatte sie einen flüchtigen Blick auf Ben am Rand der Gewaltanwendung werfen können. Aber auch in diesem Moment war es beherrschte, wenn auch tödliche Gewalt gewesen.
» Mikey, du könntest recht haben. Ich verwette Medicine Creek Camps, dass wir an Ben nur seine zivilisierte Oberfläche kennen. Und wie du möchte ich nicht auf der Gegenseite stehen, wenn der Lack abgeht.«
» Dann tätest du gut daran, den Mann zu heiraten, Nem. Uns beiden zuliebe.«
» Er hat es dir gesagt!«
Er sah sie grinsend an.
» Ich bin sein größter Verbündeter.«
» Na, lieber Verbündeter, wir sind da«, sagte Emma ein wenig barsch, da sie nicht weiter auf das Thema eingehen wollte.
» Eine Linkskurve, und dann wollen wir sehen, was es da unten gibt.«
Dort unten war gar nichts. Nichts als alter Baumbestand, so weit das Auge reichte. Sie kreisten dreimal über dem Gelände, ehe Emma entschied, dass sie landen und zu ihrem Ziel laufen sollten. Sie deutete auf einen kleinen See, dessen Größe eine Landung gerade noch zuließ. Mikey kreiste gekonnt über dem Gelände und überlegte, wie er landen sollte. Als erfahrener und geborener Buschpilot setzte er die Cessna auf der gewählten Stelle so geschickt auf, dass noch ein Abstand bis zum Ufer blieb.
» Nimm das GPS und Homer«, sagte sie und griff nach hinten nach den Rucksäcken.
» Ich schätze, dass wir etwa eine Meile gehen müssen.«
Es zeigte sich, dass es eher zwei waren, da sie eine tiefe Rinne im Gelände umgehen mussten. Mit Hilfe ihres GPS ortete Emma die Stelle und ging so lange, bis das System ihr meldete, dass der angepeilte Punkt erreicht war.
» Hier ist nichts«, sagte Mikey.
» Nur Bäume.«
Emma runzelte die Stirn. Er hatte recht. Hier gab es nur Hunderte von Morgen Wald nach allen Richtungen.
» Ich weiß, dass ich die Koordinaten richtig notiert habe. Ich habe sie zweimal kontrolliert.« Sie lachte.
» Mir ist dieser Mensch so zuwider, dass ich ein Geheimnis heraufbeschworen habe, das nicht existiert.«
» Immer noch besser als Holz stapeln.«
» Nicht wirklich. Da hätten wir wenigstens etwas zum Herzeigen gehabt.«
» Wir müssten uns trennen und den Kreis erweitern«, schlug er vor. Er stellte Homer hin und ließ seinen Rucksack neben den Vogel fallen.
» Könnte ja sein, dass Wayne hier den Standort eines alten Holzfällerlagers aus dem neunzehnten Jahrhundert entdeckt hat. Oder einen alten Lombard. Hier draußen sollen noch einige dieser alten Dampfmaschinen vor sich hin rosten.«
» Vielleicht hat er sich hier früher mit Kelly getroffen.« Emma ließ ihren Rucksack neben den von Mikey fallen.
Der Junge schüttelte den Kopf.
» Nein, das ist zu weit draußen. Sie haben sicher einen näheren Ort gefunden.«
Emma starrte ihn an.
» Nur ein Scherz, Mikey. Und wie kannst du über deine Mutter sprechen, als wäre sie… nun, als wäre sie einfach irgendeine Frau?«
Er stützte die Hände in die Hüften und erwiderte ihren Blick trotzig, wütend und zugleich verloren.
» An dem Tag, als sie mich verlassen hat, hat sie aufgehört,
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