Wogen der Liebe
gemacht?«
»Nicht ich. Eine alte Frau hat sie mir gegeben. Ich glaube, sie hieß Verdandi.«
Thoralf zuckte zurück. »Eine Norne? Weißt du, was das bedeutet?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es war so bestimmt. Wir sind füreinander bestimmt. Dieser Faden ist das Zeichen dafür.« Er wandte sich an Astrid. »Hast du das nicht gewusst? Dieser Mantel war mehr als ein Kleidungsstück …«
»… das nur eine Braut für ihren Mann anfertigen darf«, ergänzte Astrid.
Thoralfs Gesicht verdüsterte sich. »Eben! Viviane ist als Braut für mich bestimmt, war es schon von Anfang an. Und niemand hat es gesehen!«
Astrid senkte den Kopf. »Dalla hat den Mantel zerstört«, gab sie kleinlaut zu. »Es sollte nicht so sein, wie … wie die Vorsehung es wohl bestimmt hat. Wir haben gegen göttliche Gebote verstoßen. Vielleicht war dieser Überfall Odins Rache, weil wir den Willen der Nornen missachtet haben.«
»Nein, dieser Überfall war der Gier Ragnvalds und der Feigheit Hoskulds geschuldet. Aber was Viviane betrifft, hier habt ihr den Beweis, dass sie meine rechtmäßige Braut ist.«
Viviane ahnte, dass es die Göttin Frigg im See war, die ihr ihren innigsten Wunsch erfüllt hatte. »Ich werde einen neuen Mantel für dich weben«, beschloss sie. »Wenn wir wieder einen Webstuhl haben und Wolle.«
Astrid wühlte mit den bloßen Händen in der Asche und förderte durchlöcherte Steine hervor. Es waren die Gewichte für die Kettfäden. »Den Anfang hätten wir schon«, stellte sie mit einem verlegenen Lächeln fest. Sie hob den Blick zu Viviane. »Vergibst du mir?«
»Es gibt nichts zu vergeben«, erwiderte Viviane. »Ihr habt getan, was Ihr für richtig gehalten habt.«
»Aber es war falsch!«
»Wir sollten nicht zurückblicken. Man kann das Vergangene nicht mehr ändern.«
Thoralf räusperte sich. »Nimm sie endlich als deine Tochter an, Mutter. Dem Willen der Götter darf sich der Mensch nicht widersetzen.«
»Der Liebe wohl auch nicht«, flüsterte Viviane. Nur Thoralf hatte es verstanden und lächelte.
Astrid zog Viviane in ihre Arme. »Wenn Thoralf mit dir glücklich wird, dann bin ich es auch.«
Oben am Wasserfall spross das erste Grün. Raudaborsti hatte aus dünnen Zweigen Körbe geflochten und wollte die immer eintöniger werdende Verpflegung etwas aufwerten. Einige Männer waren auf Jagd gegangen und hatten Erfolg gehabt. Zu hungern brauchte niemand. Doch etwas Abwechslung konnte nicht schaden.
»Ich begleite dich«, bot sich Viviane an. Sie wollte nicht nur aus der engen Hütte herauskommen, sondern wenigstens für eine kurze Zeit auch aus Thoralfs Nähe. Am liebsten hätte sie sich nicht für einen Herzschlag von ihm getrennt, aber Astrid hielt trotz ihrer schwierigen Situation an den Anstandsregeln fest. Viviane musste im Frauenteil der Hütte schlafen, Thoralf im Männerteil. Manchmal schafften sie es, sich davonzustehlen, auf eines der Boote, wo sie Zärtlichkeiten austauschen konnten. Aber dazu musste Thoralf jedes Mal die Wachen wegschicken, was diese dann natürlich oben auf Skollhaugen brühwarm herumerzählten. Thoralf so nahe und doch nicht mit ihm vereint zu sein war wohl die schwerste Prüfung. Zudem hatte Thoralf alle Hände voll zu tun mit dem Aufbau von Skollhaugen. Oleif hatte die Schmiede fast wieder aufgebaut, doch es fehlte immer noch an Arbeitsgeräten. Es dauerte geraume Zeit, bis er alles Notwendige dafür hergestellt hatte. Am schlimmsten war, dass es keine Kohle gab und das Holz, das frisch geschlagen wurde, zu nass war. Die Menschen von Skollhaugen hatten mit vielfältigen Problemen zu kämpfen. Doch alle schöpften Hoffnung, dass sie bald stark genug sein würden, sich ihren Platz in der Wikinger-Gesellschaft zurückzuerobern.
Auf der Höhe wehte ein milder Frühlingswind. Die Sonne hatte den letzten Schnee weggetaut, das Wasser im Flussbett war gestiegen und rauschte lautstark an ihnen vorbei, bevor es mit Getöse in drei Kaskaden die Felswände hinab in den Fjord stürzte. Das Wasser war kalt, klar und erfrischend. Raudaborsti hielt gebührenden Abstand, denn es langte ihr, dass Truud schon wieder von allen verlangte, sich früh mit kaltem Wasser zu waschen. Doch am Ufer wuchs Brunnenkresse, die ihre ersten grünen Spitzen in die Frühlingsluft streckte. Vorsichtig zupfte sie die grünen Blättchen ab. Viviane setzte sich auf einen Stein und hielt die Füße in das kalte Wasser. Raudaborsti verzog missbilligend das Gesicht. »Dir werden die Zehen abfrieren. Die
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