Wogen der Liebe
Yngvar. Er breitete seinen Umhang aus. In seinem Gepäck befanden sich zwei gegarte Fische, die jetzt gefroren waren. Er legte sie nahe ans Feuer, um sie aufzutauen. Das Pferd wieherte und schnaubte nervös.
»Es ist ihm doch zu kalt«, mutmaßte Viviane.
Yngvar schüttelte den Kopf. »Es spürt etwas, eine Gefahr.« Weiter kam er nicht. Aus der Tiefe der Höhle ertönte ein Grollen und Brummen. Noch ehe Yngvar aufspringen konnte, stürzte ein dunkler Schatten auf ihn zu. Seine Schmerzensschreie mischten sich in das wütende Brummen des Bärs, der mit seinen gewaltigen Pranken nach Yngvar schlug.
Entsetzt stürzte Viviane aus der Höhle hinaus. Das Pferd lief laut wiehernd davon. Doch der Bär, der sich in seinem beginnenden Winterschlaf gestört fühlte, ließ seinen Zorn an Yngvar aus. Außer einem dünnen Speer, den er zum Stechen der Fische benutzt hatte, sowie einem Messer und einer Axt trug Yngvar nichts zu seiner Verteidigung bei sich. Viviane konnte auch nicht sehen, wo sich diese Waffen befanden. Der furchterregende Bär stellte sich auf die Hinterbeine, schlug mit den Pranken und brüllte dabei markerschütternd. Sie sah Yngvar blutend am Boden liegend. Der nächste Prankenschlag würde für ihn tödlich enden.
Verzweifelt rang sie die Hände, doch hier halfen weder Gebete noch Furcht. Wild entschlossen, nicht untätig zuzusehen, wie der Bär Yngvar zerfleischte, lief sie in die Höhle zurück. Sie packte einen brennenden Ast aus dem Feuer mit beiden Händen und schlug damit auf den Bären ein. Augenblicklich ließ das Tier von Yngvar ab und flüchtete aus der Höhle.
Keuchend und zitternd ließ Viviane die Fackel fallen. Ihr Blick wanderte zu Yngvar. Er lag regungslos in seinem Blut. Erst jetzt schnürte Angst ihre Kehle zusammen. Yngvar durfte nicht sterben!
Sie hockte sich neben ihn, tupfte vorsichtig das Blut von den Wunden. Der Bär hatte ihn an der Schulter und am Kopf verletzt. Vor allem die Kopfwunde blutete stark. Yngvar war nicht bei Bewusstsein, doch er lebte. Mit Streifen aus seinem Umhang verband Viviane die gröbsten Wunden, presste Laubknäuel darauf, um die Blutungen zu stoppen. Yngvars Atem ging flach, sein Pulsschlag war kaum spürbar. Und dann faltete Viviane doch die Hände und betete. Wer auch immer von den Göttern Yngvar erretten würde, sie mussten es einfach tun.
Sie eilte aus der Höhle, um weiteres Brennmaterial zu holen. Sie brach Zweige von den kahlen Büschen ab, aber achtete nicht darauf, dass Schnee darauf lag. Yngvar würde erfrieren, wenn sie nicht das Feuer am Leben erhielt. Etwas abseits sah sie das Pferd stehen. Es kaute an einem Tannenzweig und schien den Schrecken über das Raubtier überwunden zu haben. Sie konnte sich jedoch nicht um das Pferd kümmern. Sie hastete zurück in die Höhle, warf die Zweige ins Feuer, das beinahe erloschen war. Im gleichen Augenblick schrie sie auf. Es zischte und qualmte, der schmelzende Schnee erstickte die letzte Glut, dann war das Feuer aus. Dunkelheit legte sich über sie. Verzweifelt fuhr sie sich durch das Haar. Wie hatte sie nur so unüberlegt handeln können? Tränen stiegen ihr in die Augen und ließen die Szenerie verschwimmen. Sie fiel neben Yngvar auf die Knie und rieb sein Gesicht mit ihren kalten Händen. »Yngvar, Yngvar, wach auf! Du darfst nicht erfrieren.«
Er stöhnte, seine Lider zuckten. Ohne Feuer würden sie beide hier erfrieren. Zudem konnte der Bär wieder zurückkehren. Dann hätte sie nichts, womit sie ihn vertreiben konnte. In der Ferne sah sie das Pferd stehen. Es schnaubte nervös. Sie musste Yngvar nach Skollhaugen bringen!
Sie lief hinaus und versuchte, das Pferd einzufangen. Immer wieder wich es ängstlich vor ihr aus. »Ruhig, ruhig«, redete sie auf das Tier ein. Endlich konnte sie es am Zügel fassen. Vorsichtig führte sie es in die Höhle hinein. »Bitte bleib stehen, lauf nicht davon«, flüsterte sie beschwörend. Dann beugte sie sich zu Yngvar hinab. »Steh auf, du musst aufstehen. Ich bringe dich nach Skollhaugen, aber steh auf!«
Doch Yngvar konnte sich nicht bewegen. Beherzt packte sie ihn an der Schulter, richtete ihn auf und legte seinen Arm um sich. »Komm, halt dich an mir fest. Ich helfe dir aufs Pferd. Du musst, Yngvar, du musst aufstehen!«
Yngvar ächzte. Viviane hätte nicht geglaubt, wie schwer er war. Er stützte sich auf sie. Mit einem Ruck zog sie ihn hoch, doch seine Beine versagten, noch bevor sie ihn zum Pferd führen konnte.
»Noch einmal, Yngvar, bitte!« Keuchend
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