Wogen der Sehnsucht
so unerschütterlich ehrlich war, dann konnte er sich genauso gut eingestehen, was der wahre Grund dafür war, dass er nicht auf Toms Party gehen wollte. In Stowell. Weil sie dort sein würde, dachte er voller Selbstverachtung.
Lily Alexander.
Die Frau, deren Haut nach Mandeln duftete und die sich wie Samt anfühlte.
Die Frau, die ihn in einem Netz gefangen hielt und sich auf eine Weise an seinen Abwehrmauern vorbeigedrängt hatte, wie es ihm noch nie zuvor passiert war.
Und wie es auch nie wieder passieren wird, dachte er. Was spielte es für eine Rolle, ob sie dort war oder nicht? Er würde sie genauso behandeln wie jede andere Frau, mit der er geschlafen und die er zurückgelassen hatte. Mit distanzierter Höflichkeit. Und dann würde er wieder gehen.
Lilys Kehle wurde eng, und ihre Finger strichen nervös über die roséfarbene Seide ihres Kleides. „Eine kleine Dinnerparty, um eure Verlobung zu feiern“, flüsterte sie. „Das hast du am Telefon gesagt, Scarlet, und jetzt sieh dir das an …“
Sie blickte sich beklommen in der großen Halle von Stowell um, wo ständig Leute in Abendgarderobe durch die riesigen Türen strömten und die Atmosphäre mit Luftküssen aufluden. „Das ist wie eine Szene aus einem Georgette-Heyer-Roman.“
Scarlet lachte und hakte sich bei Lily ein, zog sie dicht an sich. „Ich weiß, ich weiß. Lächerlich, nicht wahr? Wir wollten es ja auch in kleinem Rahmen halten, aber am Ende konnte ich es einfach nicht ertragen, irgendjemanden außen vor zu lassen, deshalb haben wir fast alle eingeladen, die wir kennen.“
Lily spürte, wie ihr Herz sich in ihrem Brustkorb gleichzeitig heftig zusammenzog und hüpfte.
„Alle?“ Sie leckte sich mit der Zunge über ihre Lippen, die sich plötzlich trocken und gespannt anfühlten. „Auch Toms Freunde?“
„O ja, er ist schlimmer als ich. Er hat so gut wie jeden eingeladen, der jemals mit ihm zur Schule gegangen ist, und seine gesamte Familie.“ Scarlet senkte ihre Stimme. „Meine armen Eltern sind völlig überfordert. Du kümmerst dich doch um sie, oder?“
Lily nickte, weil der riesige Betonklotz, der sich auf ihre Brust senkte, sie für einen Moment am Sprechen hinderte. „Natürlich“, brachte sie schließlich heraus. „Ich freue mich, sie wiederzusehen.“
Das stimmte tatsächlich. Während Lilys Kindheit hatten Scarlets Eltern sie von warmen Mahlzeiten über Hilfe bei ihren Hausaufgaben bis hin zu guten Ratschlägen über ihre Freunde und diverse andere Dinge mit allem versorgt, was ihre Mutter ihr niemals hatte bieten können. Als Scarlet ihren Arm drückte, fragte Lily sich, was Mr. und Mrs. Thomas wohl zu ihrer derzeitigen Situation sagen würden.
„Meine Güte, ich hab dich so vermisst“, sagte Scarlet gerade. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr du mir gefehlt hast.“ Trotz der Diamanten, die in ihrem Haar glitzerten, und ihrer aufwendigen Hochsteckfrisur sah sie plötzlich unsicher aus, und Lily fühlte sich an die Zeit erinnert, als sie noch Teenager gewesen waren und sich darüber gesorgt hatten, ob sie jemals jemand küssen würde. „Nur weil ich heirate, wird sich zwischen uns doch nichts ändern, oder? Wir sind doch immer noch beste Freundinnen? Wir sagen uns doch immer noch alles?“
Lily zögerte, schluckte das schlechte Gewissen herunter, das in ihr aufstieg. „Natürlich.“
Scarlet ließ Lilys Arm los und nahm zwei Champagnergläser von dem Tablett einer Kellnerin. Sie drückte Lily eines davon in die Hand und stieß mit ihr an. „Auf uns … auf eine Freundschaft, die nichts erschüttern kann.“
Eine heiße Welle der Übelkeit überschwemmte Lily, als ihre plötzlich geschärften Sinne den süßlich-scharfen Geruch des Alkohols wahrnahmen und sofort dagegen rebellierten. Mein Gott, warum hatte sie nicht daran gedacht, sich ein paar Ingwerkekse einzustecken, um die Übelkeit in Schach zu halten? Sie spürte, wie sich Schweiß auf ihrer Oberlippe bildete, während sie gegen das Würgen ankämpfte.
„Lily? Alles in Ordnung? Was ist los mit dir?“
Schweigend schüttelte Lily den Kopf. Sie sah Scarlets besorgtes Gesicht nur noch undeutlich, und Reue durchzuckte sie. Zum ersten Mal, seit sie zehn Jahre alt waren, verheimlichte sie ihrer Freundin etwas, und das fühlte sich falsch an. Aber wie sollte sie ihr sagen, dass sie schwanger war, wenn sie Scarlet nicht einmal erzählt hatte, was in jener Nacht im Turm passiert war?
So viel war so schnell geschehen, und sie hatte Scarlet einfach
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