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Wogen der Sehnsucht

Wogen der Sehnsucht

Titel: Wogen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: India Grey
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deshalb noch nichts von Tristan erzählt, weil sich keine Gelegenheit dazu ergeben hatte. Sie war am Tag nach dem Kostümball direkt nach Afrika geflogen, und nach ihrer Rückkehr war Scarlet mit den Vorbereitungen für ihre Verlobung mit Tom Montague beschäftigt gewesen. Er hatte ihr, wie sie Lily verträumt erzählte, auf dem Höhepunkt des Feuerwerks einen Antrag gemacht.
    Irgendwie hatte Lily es nicht besonders taktvoll gefunden, ihr zu erzählen, was sie in jenem Moment getan hatte …
    „Ich fand schon vorhin, dass du nicht gut aussiehst“, sagte Scarlet jetzt. Sie legte den Arm um Lilys Schultern und führte sie zur Tür. „Eigentlich siehst du schon seit Afrika schlecht aus. Ich glaube, das kann nicht nur daran liegen, dass dich die Sachen, die du dort gesehen hast, so mitgenommen haben. Du musst zu einem Arzt gehen und ein paar Tests machen lassen.“
    „Das habe ich schon“, murmelte Lily schwach. Sie waren an der breiten Steintreppe in der Eingangshalle angelangt, und als sie langsam nach unten stiegen, wehte ihr kühle Luft aus den geöffneten Türen ins Gesicht, und das erstickende Gefühl der Übelkeit ließ etwas nach. Sie holte tief Luft, und ihr wurde klar, dass sie es Scarlet endlich sagen musste. Aber sie wusste einfach nicht, wie sie anfangen sollte. Am Fuß der Treppe hielt sie inne und lehnte sich gegen die Balustrade. Sie hielt das Gesicht zur Eingangstür gewandt und spürte, wie der kühle Septemberwind ihr Haar bewegte.
    Scarlet warf ihr einen besorgten Blick zu. „Und? Was hat er gesagt?“
    „Nichts. Ich meine, ich bin nicht krank.“ Ihre Schultern sanken nach vorn, und weil sie Scarlet nicht in die Augen sehen konnte, blickte sie über ihre Schulter, während sie zögernd begann: „Die Sache ist die, ich bin …“
    Sie hörte auf zu sprechen, und ihr Mund öffnete sich. Die tiefroten Wände der großen Halle bogen sich und schwankten, und die gewölbte Decke schien auf sie herabzufallen, als jemand aus der nachtblauen Dunkelheit draußen durch die großen Türen trat. Einen Moment lang glaubte sie, dass ihr Verstand ihr einen Streich spielte und ihr das Bild der großen, eleganten Gestalt und des perfekten, ausdruckslosen Gesichts vorgaukelte wie jemandem in der Wüste eine grüne Oase in der Ferne. Aber dann sah er auf, und sie versank in den blauen Seen seiner Augen.
    Das war kein Trugbild.
    Mit gerunzelter Stirn wandte Scarlet den Kopf in die Richtung, in die Lily sah.
    „Oh, Tristan ist da. Tom wird sich freuen“, sagte sie beiläufig, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder Lily zuwandte. „Also, was hat der Arzt denn nun gesagt? Was ist es? Wieder die alte Leier von zu viele Reisen, zu viel Arbeit? Lily?“
    „Ach, nichts weiter.“ Lilys Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. Tristan kam auf sie zu, eine Hand locker in die Hosentasche gesteckt. Jeder attraktive Zentimeter seiner Erscheinung, jede entspannte, elegante Bewegung zeugte von seiner großen Selbstsicherheit und der Ruhe, die er ausstrahlte, während sie sich fühlte, als würde ihr Inneres gerade langsam durch den Papierschredder geschoben. Sie fragte sich, ob sie vielleicht tatsächlich in Ohnmacht fallen würde. Die Vorstellung, nichts mehr mitzubekommen, war unglaublich reizvoll.
    „Gratuliere, Scarlet“, sagte Tristan ernst und küsste Scarlet auf beide Wangen. „Tom kann sich sehr glücklich schätzen. Du siehst heute Abend großartig aus.“
    Es hatte während der vergangenen acht Wochen Zeiten gegeben, in denen Lily tatsächlich der Überzeugung gewesen war, dass Tristan Romero de Losada Montalvo gar nicht so viel Anziehungskraft besaß. Während der vielen schlaflosen Nächte war ihr die Erinnerung an seine kühle, mondbeschienene Perfektion beinahe mystisch erschienen. Sie hatte sich, wenn sie dann endlich in unruhigen Schlaf fiel, mit der Geschichte verbunden, die er ihr von der Mondgöttin und Endymion erzählt hatte, bis Lily nicht länger zwischen Realität und Traum, zwischen Träumen und Erinnerungen unterschieden konnte.
    Aber ihre Erinnerungen waren nicht übertrieben, und dieses schöne Gesicht eines gefallenen Engels erschütterte sie erneut. Unsicher drückte sie sich gegen die Balustrade. Sie fürchtete den Moment, in dem er sich ihr zuwenden würde, genauso, wie sie ihn herbeisehnte, und war sicher, dass er ihr das Geheimnis, das sie in sich trug, am Gesicht würde ablesen können.
    „Tristan!“
    Toms triumphierender Ruf hallte von oben zu ihnen herunter, und Lily empfand eine

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