Wogen der Sehnsucht
rosa-goldene Sterne durch die nachtblaue Dunkelheit Räder schlugen.
Es hatte in der Nacht geregnet.
Lily war aus dem zerwühlten Bett aufgestanden und zum Fenster gegangen und hatte auf eine kühle Welt aus Silber und Grün geblickt. Der Regen fiel in Strömen und zerbrach die glasklare Oberfläche des Sees.
Als sie jetzt, mehr als vierundzwanzig Stunden später, aus dem Fenster des Jeeps sah, mit dem sie über die trockene afrikanische Ebene fuhr, konnte sie beinahe nicht glauben, dass sie das alles wirklich erlebt hatte. Dass sie sich diese üppige Kühle nicht nur eingebildet hatte; dass sie nicht nur geträumt hatte, wie sie sich davon abwandte und zurück zum Bett ging, wo Tristan lag, den Arm über ihre Seite des Bettes gelegt.
Dass sie sich den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht nicht nur eingebildet hatte.
Er hatte aufgeschrien, während sie ihn beobachtete, ein bitterer Aufschrei der Wut oder des Schmerzes, und ohne nachzudenken war Lily wieder unter die Decke geschlüpft und hatte seinen schönen Kopf an sich gezogen, ihn gestreichelt und tröstende, bedeutungslose, instinktive Worte in sein Haar gemurmelt, bis der Raum in der grauen Dämmerung wieder zu erkennen gewesen war und sie spürte, wie sein Körper sich endlich wieder entspannte.
Dann war sie leise wieder aufgestanden, hatte ihr Seidenkleid angezogen und war aus dem Zimmer geschlüpft und die Treppe hinuntergelaufen. Er hatte sie nicht an ihren Flug erinnert, wie er ihr scherzhaft versprochen hatte. Er war nicht einmal aufgewacht, um sie zu verabschieden.
Der Jeep hielt am Camp. Die Hitze war bereits fast unerträglich und die Luft erfüllt von dem Staub, den ihr Fahrzeugkonvoi aufgewirbelt hatte. Lily stieg mit steifen Gliedern aus und fragte sich, ob sie stark genug war für das, was vor ihr lag.
Sie senkte den Kopf, schloss eine Sekunde lang die Augen und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
Sie war gestern Morgen stark genug gewesen, den Turm zu verlassen.
Wenn sie das geschafft hatte, dann schaffte sie alles.
4. KAPITEL
London, sechs Wochen später.
„Herzlichen Glückwunsch, Miss Alexander.“
Lily blickte verständnislos in das lächelnde Gesicht des Arztes. Sie war hergekommen, um eine Erklärung dafür zu finden, warum sie sich so schlecht fühlte, seitdem sie während ihrer etwas mehr als einen Monat zurückliegenden Afrikareise an einer Magen-Darm-Grippe erkrankt war. Aber Dr. Lee blickte sie an, als habe sie gerade den Lottojackpot geknackt, anstatt sich mit einer tropischen Krankheit angesteckt.
Sie runzelte die Stirn. „Dann haben Sie schon die Ergebnisse der Bluttests?“
„Die habe ich in der Tat. Ich kann Ihnen jetzt bestätigen, dass sie keine Malaria, kein Gelbfieber, keine Hepatitis …“, er ließ die dünnen gelben Blätter des Laborberichts einen nach dem anderen auf den Schreibtisch fallen, während er die Testergebnisse durchging, „… keinen Typhus, keine Tollwut und keine Diphterie haben.“
Lily wurde schwer ums Herz.
Es war nicht so, dass sie irgendeine gemeine tropische Krankheit haben wollte, aber wenn sie gewusst hätte, was sie ständig so bleiern müde sein ließ und warum sie diesen metallischen Geschmack im Mund hatte, durch den alles nach Eisen schmeckte, dann hätte sie vielleicht etwas dagegen tun können. Etwas einnehmen können, wodurch es wegging, damit sie nachts wieder schlafen konnte, anstatt wach zu liegen, verschwitzt und atemlos, und gegen die Übelkeit anzukämpfen, die ihr die Kehle hinaufstieg. Damit sie vielleicht nicht mehr an jene andere Nacht denken musste. Und an Tristan Romero.
Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich zu konzentrieren. Das war noch eine Sache, die in letzter Zeit unmöglich war, aber mit viel Mühe gelang es ihr, ihren Geist zurückzuholen aus seinem inzwischen vertrauten Zufluchtsort in einem dämmrigen Turm, auf einem mondbeschienenen Bett …
Sie musste das hinter sich lassen. Vergessen.
„Es tut mir leid, ich verstehe nicht. Wenn alle diese Tests negativ waren, was ist dann …?“
„Na ja, nicht alle Tests hatten ein negatives Ergebnis. Einer war ziemlich eindeutig positiv.“ Dr. Lee faltete die Hände auf dem Tisch und strahlte sie an. „Sie sind schwanger, Miss Alexander. Herzlichen Glückwunsch.“
Die Wände schienen auf Lily zuzustürzen und den sonnigen Septembersonnenschein draußen auszusperren. Die Luft in Dr. Lees elegantem Behandlungszimmer war plötzlich zu stickig zum Atmen. Sie spürte, wie ihr das
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