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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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zumachen, denn wenn Sonnenhaar sie schlägt, möchte sie es nicht kommen sehen. Aber Mädchen zwingt sich, die Augen offen zu lassen und hinzuschauen. Es wird ihr ganzes Herz brauchen, alles, was sie in sich hat, um an die verbotenen Laute zu denken und sich an sie zu erinnern.
    »Wasistlos? Gehtsdirgut?« Sonnenhaars Stimme klingt so weich, dass Mädchens Herz wehtut.
    Sie blickt empor in diese schönen grünen Augen. Mädchen möchte gut sein. Sie leckt sich über die Lippen und sagt dann leise: »Bleib.«
    Sonnenhaar macht einen Laut wie ein Stein, der in tiefes Wasser fällt. »Hastdugeradebleibgesagt?«
    Mädchen gibt ihr die besondere Rose. »Bitte.«
    Sonnenhaars Augen fangen wieder an zu tropfen, aber diesmal ist ihr Mund auf eine Art verzogen, die Mädchen innen drin ein ganz warmes Gefühl macht. Dann schließt sie Mädchen in die Arme und zieht sie an sich.
    Dieses Gefühl hat Mädchen noch nie gehabt, dieses Gefühl, dass sie von oben bis unten festgehalten wird. Sie schließt die Augen und lässt ihr Gesicht in Sonnenhaars weichen Hals sinken, der nach den Blumen riecht, die wachsen, wenn die Sonne durch die Nacht heranschleicht.
    »Bleib«, flüstert sie, und jetzt lächelt sie.

Kapitel 17
    In eine dicke Wolldecke gewickelt saß Ellie im alten Stuhl ihres Vaters auf der Veranda. Neben ihr stiegen Dampfschwaden von einer Tasse Tee auf.
    Obwohl es schon drei Stunden her war, dass sie mit Alice draußen gewesen waren, hatte sie das klagende Auf und Ab ihres Heulens immer noch im Ohr, eine traurige Nachtmusik.
    So viel hatte sich heute ereignet. Doch die Frage war: Hatte sich dadurch irgendetwas grundlegend verändert? Alice konnte sprechen. Das wussten sie jetzt immerhin, und vielleicht war das ja die Tür, hinter der endlich ihre Identität zum Vorschein kommen würde.
    Aber aus irgendeinem Grund glaubte Ellie nicht daran. Sie glaubte nicht, dass Alice irgendwohin oder zu irgendwem gehörte, sie dachte eher, dass man sie - warum auch immer ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen hatte. Wie die Eskimofrauen in alten Zeiten, die frierend und allein, von allen unerwünscht, auf einer Eisscholle ausgeharrt und irgendwann einfach ihr Leben aufgegeben hatten.
    Ellie schloss die Hände um die warme Teetasse. Der Dampf bildete einen feuchten Film auf ihrem Gesicht, der Duft von Orangen stieg ihr in die Nase.
    Hinter ihr öffnete sich quietschend die Verandatür.
    Julia nahm auf Moms Schaukelstuhl Platz.
    »Schläft sie?«, fragte Ellie.
    »Wie ein Baby.«
    Angestrengt versuchte Ellie ihre Gedanken im Zaum zu halten, doch sie waren wie Mustangs in freier Wildbahn und gingen durch, wenn sie sich ihnen näherte. »Hat sie noch was gesagt?« Hoffentlich markierten die beiden Wörter den Anfang einer Entwicklung.
    »Nein. Und das könnte auch noch eine Weile dauern. Sicher, heute Abend war eine Riesensache, aber hast du gehört, wie sie gesprochen hat? Wie eine Zweijährige! Sie hat die beiden Wörter nicht zu einem Satz zusammengefügt. Ich glaube, für Alice waren sie getrennte Einheiten.« Trotzdem strahlte Julia, und Ellie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihre Schwester das letzte Mal so entspannt gesehen hatte.
    »Was hat das zu bedeuten?«
    Julia brauchte einen Moment, um zu antworten. »Das ist ziemlich kompliziert und wissenschaftlich, und ich brauche auch noch viel mehr Informationen, um mir eine richtige Meinung bilden zu können, aber kurz gesagt ist Alice entweder selektiv stumm - das heißt, sie hat sich aufgrund ihrer Traumatisierung dafür entschieden, nicht zu sprechen -, oder sie ist in ihrer Sprachentwicklung sehr weit zurück. Persönlich halte ich das Letztere für wahrscheinlicher, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen. Erstens scheint sie bestimmte, einfache Wörter zu verstehen, aber keine Sätze, die aus diesen Wörtern zusammengesetzt sind. Zweitens hat sie heute Abend zwei Wörter unabhängig voneinander benutzt, was darauf hindeutet, dass sie sich in punkto Satzbau auf dem Niveau einer Zweijährigen befindet. Denk doch nur mal daran, wie Kinder sprechen lernen. Erst werden einfache Wörter identifiziert. Mama. Papa. Ball. Wauwau. Nach und nach werden Zweiwortsätze gebildet, um einen komplexeren Gedanken zu vermitteln, dann werden drei Wörter aneinandergereiht. Mit der Zeit lernen die Kinder auch negative Aussagen wie ›Nicht Spielen oder ›Kein Mittagsschlaf‹ und fangen an, Pronomen zu benutzen. Mit etwas mehr Erfahrung bilden sie ihre Sätze schließlich zu Fragen um.

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