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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Die meisten Wissenschaftler glauben, dass ein Kind sich noch bis zur Pubertät diese komplexen, unausgesprochenen Regeln aneignen und damit Sprache lernen kann. Deshalb fällt es Kindern auch viel leichter, eine Fremdsprache zu erlernen, als Erwachsenen.«
    Ellie hielt die Hand hoch. »Langsam, langsam, Einstein. Willst du damit sagen, dass Alice sprechen kann , aber dass man ihr nicht viel beigebracht hat, sodass sie jetzt nur über die Ausdrucksmöglichkeiten eines Kleinkinds verfügt?«
    »Ja, genau das vermute ich. Ich glaube, sie ist in den ersten anderthalb oder zwei Jahren in einer verbalen, vielleicht sogar fürsorglichen Umgebung aufgewachsen. Da hat sie ein paar Wörter gelernt und eine körperliche Verbindung mit jemandem aufgebaut. Aber danach ... danach ist irgendetwas ganz Schreckliches passiert, und sie hat ihre Sprachfertigkeit nicht mehr weiterentwickelt.«
    Etwas ganz Schreckliches.
    Die Worte hinterließen ein belastendes Gefühl der Schwere. »Und ein Kleinkind kennt seinen Namen nicht. Jedenfalls nicht den Nachnamen.«
    »Ja, ich weiß.«
    Mit einem tiefen Seufzer lehnte Ellie sich zurück. »Anscheinend sucht niemand dieses Mädchen, Jules. Im FBI-Computer war nichts zu finden über vermisste oder entführte Kinder, auf die ihre Beschreibung passt. Die DNA hat nichts gebracht, die Medien interessieren sich nicht mehr für den Fall. Und jetzt sagst du mir, selbst wenn du die Kleine dazu bringst, wie ein Wasserfall zu reden, hat sie womöglich nicht die leiseste Ahnung, wie sie heißt. Oder wer ihre Eltern sind, geschweige denn in welcher Stadt sie wohnt.«
    »Himmel, Ellie. Ich hab mich eigentlich ziemlich gut gefühlt. Wir waren mit ihr draußen, und sie hat gesprochen.«
    »Entschuldige. Du hast das toll hingekriegt mit Alice, Jules. Wirklich. Aber ich habe auch meine Verantwortung. Die Jugendfürsorge findet, wir sollten uns allmählich um eine endgültige Unterbringung kümmern.«
    »Noch nicht, Ellie. Bitte. Ich habe eine Chance bei Alice. Es geht nicht mehr nur darum, ihre Familie zu finden. Es geht darum, dieses Kind zu retten, es in die Welt zurückzuholen. Du hast mich an all das erinnert - daran, wie viel Gutes ich für Alice bewirken kann.«
    »Das hört sich an, als würdest du hier bleiben wollen, solange sie dich braucht.«
    »Warum nicht? In L.A. gibt es für mich nichts mehr zu holen. Wenn man keinen Mann, keine Kinder und keinen Job hat, ist es leicht, ein neues Leben anzufangen. Man schließt einfach die Wohnung ab und geht.« Endlich hob sie den Blick. »Ehrlich gesagt brauche ich Alice im Moment vielleicht genauso wie sie mich. Ich bin bereit, alles zu tun, um ihr zu helfen. Genügt das für den Augenblick? Können wir es einstweilen beim vorläufigen Sorgerecht belassen?«
    »Selbstverständlich.« Zwar wusste Ellie nicht, wie sie die Aussicht fand, dass ihre Schwester den ganzen Winter hier verbringen würde, aber darüber konnte sie sich später Sorgen machen, irgendwann nachts, wenn sie mal wieder nicht schlafen konnte. Auf alle Fälle wusste sie, dass sie dankbar war, dass jemand die Last auf sich nahm, für Alices verletzte Seele zu sorgen. »Aber wie erklärst du dir die ... die ganzen Absonderlichkeiten? Du weißt schon, die Vögel und so.«
    Julia starrte über den Rand ihrer Teetasse zum Fluss, der im Mondlicht schimmerte. »Dafür habe ich leider keine Erklärung. Sie hat in einer anderen Welt gelebt, nach anderen Regeln. Als ich die dokumentierten Fälle von Wilden Kindern recherchiert habe, ist mir klar geworden, dass diese Kinder in den meisten Jahrhunderten hemmungslos romantisiert und als Beispiele unverdorbener Natur angesehen wurden. Unkorrumpiert, unzivilisiert, wie sie waren, verkörperten sie die Reinheit eines ursprünglichen Menschen, der nicht in einer Gesellschaft existieren konnte, in der bestimmte Verhaltensregeln festgelegt sind.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Dass Alice vielleicht eher ein Teil der Natur als der Menschen ist, mehr in Kontakt mit Gerüchen, Pflanzen, Tieren.«
    Auch damit konnte Ellie anscheinend nicht viel anfangen. »Für mich sah das eher nach Magie als nach Naturwissenschaft aus.«
    »Das wäre natürlich auch eine Erklärung.«
    »Was machen wir jetzt also? Ich meine, wie kriegen wir sie zum Reden?«
    Julia sah sie an. »Alice muss erst einmal begreifen, dass sie hier in Sicherheit ist. Ich glaube, wir sollten ihr zeigen, wie eine Familie funktioniert. Vielleicht ruft das etwas in ihr wach und hilft ihrer Erinnerung

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