Wohin das Herz uns trägt
erneut.
»Sondern Brittany«, sagte Julia. Der Name schmeckte bitter auf ihrer Zunge. Vielleicht war es auch mehr als das, vielleicht war es der Geschmack von Angst. »Ich glaube, sie hat sehr lange im Wald gelebt. Vielleicht sogar mehrere Jahre. Wenn das so ist, wird Ihre Frau dort möglicherweise auch festgehalten. Wer immer sie entführt hat, könnte dort Beweise hinterlassen haben.«
Azelle erstarrte. »Sie glauben, dass Brittany uns an diesen Ort führen kann?«
»Vielleicht«, antwortete Ellie, während Julia nur mit Mühe ein Nicken zustande brachte.
»Ist das ... ist das nicht gefährlich? Für Brittany, meine ich.«
Nicht einmal für Alice hätte Julia diese Frage beantworten können, der Tränenkloß in ihrem Hals war viel zu dick. Das ist falsch, selbst wenn es aus den richtigen Gründen geschieht.
»Julia wird sich so um sie kümmern, dass sie den Ort ihrer Gefangenschaft nicht unbedingt noch einmal ansehen muss ... Vorausgesetzt natürlich, wir finden ihn überhaupt.« Ellies Blick war fest. »Sie haben mich gebeten, dass ich meine Arbeit machen soll, George. War das etwa auch eine Lüge?«
Julia sog scharf die Luft ein. Unausgesprochene Worte erfüllten den Raum, uneingestandene Ängste. Wenn Azelle schuldig war, würde er das Angebot ablehnen ...
»Okay«, antwortete er nach einer Weile. »Aber wir machen uns gleich morgen auf den Weg. Keine unnötigen Verzögerungen.«
Julia wusste nicht, was sie empfand. »Okay.« Das Wort war kaum mehr als ein Flüstern.
»Und keine Medien«, fügte Ellie hinzu.
Als überlegte er sich immer noch, ob ihre Motive ehrlich waren, sah Azelle von einer zur anderen. »Einverstanden. Für den Augenblick.«
Wieder läutete die Türglocke, und es wurde heftig geklopft.
»Verstecken Sie sich, George«, befahl Ellie scharf, und Azelle stolperte in den Küchenbereich, wo er sich hinter den Schränken verbarg. »Komm mit«, sagte Ellie dann an Julia gewandt.
Zusammen gingen sie zur Tür und machten auf.
Auf der Treppe standen mehrere Reporter, unter ihnen auch Mort von der Gazette. Noch bevor die Tür offen war, begannen sie ihre Fragen abzufeuern.
»Wir sind hier, um George Azelle zu interviewen.«
»Wir wissen, dass das da draußen sein Wagen ist.«
»Können Sie bestätigen, dass das Wolfsmädchen seine vermisste Tochter ist?«
»Dr. Cates - haben Sie das wilde Kind inzwischen geheilt? Kann es jetzt sprechen?«
Julia starrte in die Gesichter und fühlte sich plötzlich weit weg, ohne Bezug zu dem, was hier vor sich ging. Noch vor ein paar Monaten hätte sie alles gegeben, um diese Frage gestellt zu bekommen und sie mit Ja beantworten zu können. Damals hatte ihr die Wiederherstellung ihres Rufs alles bedeutet, aber jetzt hatte sich ihre Welt grundlegend verändert.
Sie spürte Ellies Blick auf sich ruhen. Zweifellos dachte ihre Schwester das Gleiche.
Nachdenklich betrachtete Julia die Reporter, die sie erwartungsvoll anstarrten, die Mikrofone gezückt. Jetzt würden sie ihr wieder glauben, und sie hatte die Chance, wieder die Eine zu sein, die Psychologin, auf die alle hörten. Das wusste sie. Alice war auch für sie ein lebendiger Beweis, genau wie für Azelle. Sie musste ihre Trümpfe nur richtig ausspielen - die Videoaufnahmen zeigen, das Mädchen holen, es den Versammelten vorstellen. Die Fortschritte, die sie erzielt hatte, waren schlicht ein Wunder. Auch die Fachzeitschriften würden sich um Artikel über ihre Therapiemethode reißen.
Aber am Ende war es, obwohl sie so oft davon geträumt hatte, im Triumph zurückzukehren, erstaunlich leicht, zu lächeln und zu sagen: »Kein Kommentar.«
* * *
Ellie, Cal, Earl, Julia und Alice hatten sich im Park eingefunden. Da es keine Zeugen für ihre Unternehmung geben durfte, mussten sie schon vor Sonnenaufgang aufbrechen. Wenn die Medien ihnen auf die Schliche kamen, war alles verloren. George Azelle stand ein bisschen abseits und unterhielt sich leise mit seinem Anwalt.
»Kann sie das denn auch wirklich?«, fragte Cal und fasste damit all ihre Bedenken in Worte.
Darauf hatte niemand eine Antwort. »Ich weiß nicht mal, worauf wir hoffen sollen«, meinte Ellie und griff nach Cals Hand. Die warme Vertrautheit seiner Berührung erleichterte ihr das Atmen.
Sie war fast die ganze Nacht auf gewesen, hatte Verfahrenshandbücher gewälzt und mit Kollegen überall im Land E-Mails ausgetauscht. Schließlich hatte sie auch noch ein Set zum Sammeln von Beweisen zusammengestellt und Cal eingeladen, als amtlicher
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