Wohin das Herz uns trägt
ihre Tasche und ging zur Garage hinunter, wo ihr stahlblauer Toyota Prius Hybrid wartete. Die Garagentür öffnete sich und gab den Blick auf die leere Straße draußen frei.
Es war ein warmer Oktobermorgen. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass die Reporter, die so lange in kleinen Grüppchen, rauchend und plaudernd, vor ihrer Tür gelauert hatten, endlich verschwunden waren.
Nein, sie war ja nicht mehr Teil der Geschichte.
Nach einem albtraumhaften Jahr hatte sie ihr Leben wieder. Gut eine Stunde später traf sie vor einem Bürogebäude von Beverly Hills ein, in dem sich ihre kleine, geschmackvoll eingerichtete Praxis befand, die sie seit über sieben Jahren gemietet hatte.
Sie parkte auf ihrem Stellplatz, ging hinein und zog leise die Tür hinter sich zu. Im ersten Stock blieb sie vor ihrem Büro stehen und blickte auf die Silberplakette an der Tür.
DR. JULIA CATES.
Sie drückte auf den Knopf der Sprechanlage.
»Praxis Dr. Cates«, kam die kratzige Antwort aus dem Lautsprecher. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Hallo, Gwen, ich bin‘s.«
»Oh!«
Ein Summen ertönte, dann ging die Tür mit einem leisen Klicken auf.
Julia holte tief Luft und trat ein. Die Praxis roch nach frischen Blumen, die jeden Montag angeliefert wurden. Auch wenn sie jetzt viel weniger Patienten hatte, war sie nicht bereit, die Bestellung zu reduzieren. Das wäre dem Eingeständnis einer Niederlage gleichgekommen.
»Hallo, Miss Cates«, sagte Gwen Connelly, die Rezeptionistin. »Herzlichen Glückwunsch!«
»Danke.« Julia lächelte. »Ist Melissa schon da?«
»Sie haben diese Woche keine Termine«, erwiderte Gwen leise. Das Mitgefühl in ihren braunen Augen war entnervend. »Alle haben abgesagt.«
»Alle? Sogar Marcus?«
»Haben Sie die L.A. Times von heute nicht gesehen?«
»Nein. Warum?«
Gwen zog eine Zeitung aus dem Papierkorb und legte sie vor Julia auf den Schreibtisch. Die Schlagzeile lautete: DER GROSSE IRRTUM. Darunter ein Foto von Julia. »Die Zunigas haben nach der Anhörung ein Interview gegeben. Und Ihnen an allem die Schuld gegeben.«
Unwillkürlich streckte Julia die Hand aus, um sich an der Wand abzustützen.
»Bestimmt versuchen die nur, selbst einem Prozess zu entgehen, und meinen jetzt..., dass es als Therapeutin Ihre Aufgabe gewesen wäre, Amber einweisen zu lassen.«
»Oh.« Mehr brachte sie nicht heraus.
Gwen stand auf und ging um den Schreibtisch herum. Sie war eine kleine, kompakte Frau, die Julias Praxis genauso geführt hatte wie ihren eigenen Haushalt, mit Disziplin und Einfühlungsvermögen. Mit ausgestreckten Armen kam sie auf Julia zu. »Sie haben vielen Menschen geholfen. Das kann Ihnen keiner wegnehmen.«
Rasch trat Julia beiseite. Jetzt berührt zu werden hieße, die Fassung zu verlieren. Und dann würde sie sie vielleicht nie wiederfinden.
Gwen hielt inne. »Es ist nicht Ihre Schuld.«
»Danke. Ich ... ich denke, ich werde ein bisschen Urlaub machen.« Verzweifelt versuchte sie sich ein Lächeln abzuringen, aber ihre Gesichtsmuskeln fühlten sich wie gelähmt und irgendwie hölzern an. »Ich bin schon seit Jahren nicht mehr weggefahren.«
»Das wird Ihnen sicher guttun.«
»Ja.«
»Ich lasse die Blumenlieferung stornieren und rufe den Hausverwalter an«, versprach Gwen. »Damit er weiß, dass Sie ... dass Sie eine Weile nicht da sind.«
Ich lasse die Blumenlieferung stornieren. Seltsam, dass ausgerechnet das ihr den Rest gab. Nur mit allergrößter Mühe schaffte sie es, sich von Gwen zu verabschieden.
Als sie allem war, ging sie auf dem teuren Teppichboden in die Knie und ließ den Kopf hängen.
Sie wusste nicht, wie lange sie so in der Dunkelheit kniete, auf ihren Atem lauschte und ihren Herzschlag spürte.
Schließlich richtete sie sich ein wenig ungeschickt wieder auf und blickte sich um. Was sollte sie jetzt tun? Die Praxis war ihr Leben. In ihrem Streben nach beruflicher Perfektion hatte sie alles andere vernachlässigt - Freunde, Familie, Hobbys. Seit fast einem Jahr hatte sie nicht mal mehr eine Verabredung gehabt. Genau genommen seit Philip. Langsam ging sie zum Telefon und starrte auf die Liste mit den Kurzwahlen.
Dr. Philip Westover war immer noch Nummer sieben. Sie fühlte einen Schmerz der Bedürftigkeit, eine tiefe Sehnsucht, seine Stimme zu hören, die ihr mit diesem singenden Akzent sagte: Alles wird gut, Julia. Fünf Jahre lang war er ihr bester Freund und ihr Geliebter gewesen. Jetzt war er mit einer anderen Frau verheiratet.
Das war das Problem an der Liebe -
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