Wohin der Wind uns trägt
prostete Simon mit seinem Drink zu und nahm sich ein paar gesalzene Cashewkerne aus der Schale, die neben ihm stand.
»Man gewöhnt sich an alles«, entgegnete Simon ruhig und lächelte Nina zu. Er konnte Bertie auf den Tod nicht ausstehen, und es kostete ihn Mühe, nicht auf seine Sticheleien zu reagieren.
»Wir haben gerade über das Hochzeitsdatum geredet«, begann Jo rasch, die Simons Ärger spürte. »Wir dachten dabei an einen Termin Anfang nächsten Jahres. Dad macht gute Fortschritte und müsste bis dahin auch ohne mich zurechtkommen. Was glaubst du?«
Sie wartete ab und rechnete mit Widerspruch von Nina, da diese nicht in die Beratungen einbezogen worden war. Doch die Antwort ihre Mutter entpuppte sich als positive Überraschung.
»Das klingt großartig, Liebling, obwohl ich nicht zu viel Hoffnung haben würde, dass dein Vater so rasch wieder gesund wird. Aber mit meinen Plänen würde es sich wunderbar decken.«
»Was für Plänen?«, wunderte sich Jo. Simons Miene verdüsterte sich zusehends.
»Ja, mein Kind. Komm, setz dich, wir müssen miteinander reden. Bertie, gib den beiden etwas zu trinken.« Nina klopfte auf die Armlehne des Sessels neben sich.
Jos Magen krampfte sich ängstlich zusammen. Ihre Mutter verhielt sich verdächtig ruhig und vernünftig. Sie legte Akten und Handtasche auf den Boden, nahm in dem riesigen Sessel Platz und bemühte sich, nicht besorgt zu wirken.
»Es gibt einen Kaufinteressenten für die Ställe, und wir haben beschlossen, sein Angebot anzunehmen«, verkündete Nina und trank einen Schluck gekühlten Weißwein.
Jo sprang auf.
»Keine Szene!«, fuhr Nina rasch fort. »Bertie und ich haben während eurer Abwesenheit alles gründlich erörtert. Aber glaube bloß nicht, dass wir hinter deinem Rücken gearbeitet haben, denn das stimmt nicht. Das Angebot kam erst am Samstag, und heute ist die erste Gelegenheit, sich zusammenzusetzen. Bertie und ich sind uns einig, dass das unter den gegebenen Umständen die beste Lösung ist.«
»Die Ställe verkaufen – das darfst du nicht, Mum.« Jo war wie vor den Kopf geschlagen. Aufgebracht wirbelte sie zu ihrem Bruder herum. »Das hast du ihr eingeredet. Du hast die Ställe schon immer gehasst. Was für einen schwachsinnigen und juristisch unausgegorenen Hokuspokus hast du Mum diesmal vorgebetet?«
»Lass deinen Bruder in Ruhe, Jo. Niemand hat mir etwas vorgebetet. Ich bin durchaus in der Lage, selbst Entscheidungen zu treffen, und diese hier erscheint mir sinnvoll. Insbesondere deshalb, weil du vorhast zu heiraten und ans andere Ende der Welt zu ziehen.«
»Da hat sie recht«, sagte Simon und legte Jo beruhigend die Hand auf die Schulter.
Zornig machte Jo sich los. – »Nein, hat sie nicht. Der Rennstall hält Dad am Leben.«
»Er ist ein Mühlstein um Mums Hals, verdammt«, mischte sich Bertie ein, den Jos Vorwürfe wurmten. »Außerdem schreibt er nur rote Zahlen. Seit Dad die Kingsford Lodge nicht mehr leitet, haben die Leute das Vertrauen verloren.«
Bertie steckte eine Handvoll Nüsse in den Mund und dachte dabei an das ordentliche Sümmchen, das er als seinen Anteil am Verkauf einstreichen würde. Damit würde er seine Spielschulden bezahlen, und wenn er den Rest geschickt anlegte, würde er finanziell um einiges besser dastehen als mit der jämmerlichen Aufstockung seines monatlichen Schecks, die er seinem Vater abgeschwatzt hatte.
»Halt den Mund, Bertie«, brüllte Jo. »Du weißt nicht, wovon du redest. Schließlich hast du seit Dads Unfall keinen Fuß in den Stall gesetzt.«
»Es spricht sich herum«, entgegnete Bertie. »Du musst realistisch sein, Jo. Dad wird nie wieder die Kingsford Lodge leiten. Und du bist eine Frau. Es wäre das Sinnvollste, das Geld so anzulegen, sodass Mum sich ohne finanzielle Sorgen um Dad kümmern kann, falls er nach Hause kommt.«
»Was meinst du mit falls?«
»Die Ärzte sagen, dass er möglicherweise in ein Pflegeheim muss«, erwiderte Nina erschöpft.
»Warum?« Jo setzte sich erschrocken.
Betreten nestelte Nina an ihrem schweren Silberarmband herum und wich dem Blick ihrer Tochter aus.
»Ich wollte es dir erzählen, nachdem wir über die Ställe gesprochen haben, mein Kind. Die Ärzte machen sich große Sorgen um deinen Vater, und zwar wegen seiner Sprachstörung. Sie befürchten, er wird sich nicht mehr erholen oder lernen zu sprechen. In diesem Fall wäre er dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen.« Sie hielt inne. »Das Ausmaß seiner Hirnschäden ist nicht mit
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