Wohin der Wind uns trägt
Dad«, zischte Bertie.
»Was? Glaubt er etwa, du hättest das Spielen aufgegeben, weil Fastenzeit ist?«, höhnte Jo, ging zu dem Tisch, auf dem das Essen stand, und entfernte die Frischhaltefolie von der Salatschüssel. Sie beobachtete ihren Vater, der plaudernd mit einem Bierglas in der Hand bei zwei Freunden stand, und dachte daran, wie weit sie es im letzten Jahr gebracht hatten.
Charlies Beine waren zwar noch schwach, aber geistig war er wieder voll auf der Höhe. Inzwischen debattierten sie wieder angeregt über die Ausbildung von Rennpferden, auch wenn seine Sprachschwierigkeiten ihm noch zu schaffen machten und er sich manchmal nur schriftlich ausdrücken konnte. Obwohl er hin und wieder schrecklich aufbrausend war, wurde Jo warm ums Herz, als sie ihn beobachtete. Er war der Dad, den sie kannte und liebte, reizbar und brummig und trotz seiner undeutlichen Sprechweise voller Leidenschaft, wenn es um seine geliebten Pferde ging. Eines Tages würde sie vielleicht den Mut finden, das heikle Thema England anzusprechen, aber noch nicht jetzt.
Heute hatte er zum ersten Mal seit langer Zeit Freunde eingeladen, und sich den Kopf über Berties Spielsucht zu zerbrechen, war das Letzte, was er gebrauchen konnte.
»Möchtest du am Samstag mit zu Sleepers Debüt in Randwick kommen, Dad?«, fragte sie ihn später.
»Wenn ich das erste Mal wieder auf eine Rennbahn gehe, dann nur auf meinen eigenen zwei Beinen, mein Kind. Das habe ich dir gesagt, als ich nach Hause kam, und dabei bleibt es.«
Er lächelte sie zwar an, aber sie sah die Trauer in seinem Blick. Er war ein stolzer Mann und einmal ein gefeierter Trainer gewesen. Doch die Zweifel von Familie und Freunden an seiner Genesung hinterließen Narben auf seiner Seele. Neenes mangelnde Zuversicht traf ihn am meisten.
In einem unbeweglichen Körper gefangen, hatte Charlie alles verstanden, was um ihn herum geschah. Wie sehnte er sich danach, seine Frau in die Arme zu nehmen, sie zu überzeugen, dass er völlig bei Verstand war, ihr zu sagen, wie sehr er sie liebte, und sie zu bitten, ihrer Tochter zu vertrauen, denn Jo wusste, was sie tat. Aber er war nicht einmal in der Lage gewesen, der albernen Krankenschwester zu bedeuten, sie solle ihn aus der Sonne schieben. Und als Neene ihn, begleitet von nervösem Geplapper, in dem bedrückenden Pflegeheim besucht hatte, spürte er ihr schlechtes Gewissen, und das raubte ihm den letzten Lebensmut.
So verzweifelt war er gewesen, dass er ohne Jos Hilfe vermutlich aufgegeben hätte. Eines Tages, wenn der Schmerz darüber sich ein wenig gelegt hatte, würde er ihr sagen, wie sehr er ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen bewunderte und wie unbeschreiblich er sie für ihren Glauben an ihn liebte.
Mit zitternder Hand fuhr Charlie sich über die Augen. Er dachte an Nina und musste einen Seufzer unterdrücken. Seit er wieder zu Hause war, hatte sich ihre Beziehung verändert. Alles hatte sich verändert.
Es war ein langer Tag gewesen, und ihm war klar, dass er noch längst nicht so weit war, sich unter seinen Berufskollegen zu zeigen. »Gut, Dad, wie du willst«, erwiderte Jo, die seine Brummigkeit gewöhnt war.
Dennoch war sie enttäuscht, denn sie hätte diesen Moment gern mit Charlie geteilt. Keine Minute zweifelte sie daran, dass Sleeper, der in den letzten zwölf Monaten jedes Rennen gewonnen hatte, auch diesmal den Sieg davontragen würde. Einen Moment lang dachte sie an Simon und wünschte, er wäre hier, um gemeinsam mit ihr diesen Triumph zu erleben. Seit ihrer Trennung waren fast vier Jahre vergangen. So sehr sie sich auch einredete, dass sie über ihn hinweg war – sie wusste, sie würde sich ihm ohne Zögern in die Arme werfen, falls er zur Tür hereinkommen sollte.
Am Samstag war es sonnig und warm. Jo hatte in der Woche zuvor bereits ein Trainingsrennen mit Sleeper veranstaltet, um sicherzugehen, dass er auf der Bahn von Randwick zurechtkam. Sie wirkte ausgelassen, fühlte sich aber innerlich angespannt.
Ausgestattet mit ihrem ausgefallensten und gewagtesten Hut und einem hellgrünen Hosenanzug, der ihre schlanke Figur formvollendet betonte, bestand Jo darauf, Sleeper selbst zu satteln. Sie half Damien in den Sattel, drückte ihm die Hand und blickte ihm nach, wie er mit Sleeper zur Startlinie trottete. Die Farben der Kingsford Lodge, Hellgelb und Rosa, leuchteten auf seinem Rücken. Es war Jos größter Moment seit ihrer Rückkehr nach Australien, und Dad würde alles im Fernsehen verfolgen.
»Das alles hast du
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