Wohin der Wind uns trägt
Pferd. Monatelang sind wir nicht dahintergekommen und haben uns das Hirn zermartert. Schau ihn dir an. Der schläft tief und fest.«
Jo richtete ihr Fernglas auf den großen Wallach und schnappte nach Luft.
»Das darf doch nicht wahr sein! Wir machen zwar Witze darüber, aber …«
Sie wollte Damien schon zurufen, er solle Dopey wecken, stieg dann aber selbst die Stufen hinunter und lief rasch auf das Pferd zu.
Mit ungläubiger Miene winkte sie Phillip zu sich und wies auf Sleeper.
»Du hast recht«, schrie sie dann zu Winks hinauf, der sich aus dem Fenster lehnte.
Alle versammelten sich erstaunt um das Pferd. Sleeper, dem das Warten offenbar zu langweilig geworden war, hatte seinem Namen alle Ehre gemacht.
»Weckt das Pferd auf«, rief Jo.
Ein rascher Stups von Damien, und Sleeper war hellwach, reckte die Ohren und war bereit, loszustürmen. Während Jo und Phillip Blicke wechselten, machte Damien ein äußerst betretenes Gesicht. Winks kicherte.
»Was für ein Frechdachs«, ereiferte sich Jo.
Doch das allgemeine Geschimpfe ging in Gelächter über. Offenbar war Sleeper einfach am Start eingeschlafen. Eine andere Erklärung gab es nicht.
Emma würde sich bestimmt königlich darüber amüsieren, dachte Jo, die plötzlich an ihre alte Freundin dachte. Heute Abend würde sie ihr schreiben und ihr die ganze lustige Geschichte erzählen.
21
Jo nahm sich eine große Cola aus dem Kühlschrank in der Küche, gab ein Stück Zitrone hinein und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Sie hatte eine ausgesprochen anstrengende Woche hinter sich. Von Charlies Standpauke, weil sie nicht sofort hinter Dopeys Schlaftick gekommen war, klingelten ihr noch immer die Ohren. Der peinliche Zwischenfall hatte sie den Rest der Woche verfolgt. Wenn die Folgen nicht so ernst gewesen wären, hätte man wirklich darüber lachen können.
Natürlich war die Sache ein gefundenes Fressen für die Journalisten. Die Presseleute hatten sich auf sie gestürzt und sich in den Ställen herumgetrieben. Manche hatten sogar von Schiebung gesprochen. Und das, obwohl Jo versicherte, sowohl der australische Rennverband als auch ihr eigener Tierarzt hätten bei dem Pferd keine Spur eines Betäubungsmittels entdeckt. Sobald sie sich irgendwo blicken ließ, musste sie witzig gemeinte Bemerkungen über sich ergehen lassen. Und da die Reporter sonst nichts Berichtenswertes fanden, begannen sie, sich Geschichten über Jos Leben und ihre Arbeit im Rennstall auszudenken. Jo blieb nichts anderes übrig, als sich mit dem lästigen Rummel abzufinden. Sie beschloss, die öffentliche Aufmerksamkeit zu nützen, um Werbung für ihren Rennstall zu machen, womit sie auch einigen Erfolg hatte.
Belastender als der Medienansturm waren die beiden Anrufe, in denen ihr mit schwerwiegenden Konsequenzen gedroht wurde, falls sie »so einen miesen Trick« noch einmal versuchen sollte. Dass Sleeper trotz seiner guten Startposition verlor, hatte viele Menschen um einige Dollar ärmer und deshalb sehr wütend gemacht. Verschlimmert wurde die Situation noch dadurch, dass Damiens Freundin Hope mit einem Bündel Geldscheine nach Hause gekommen war. Von Kindheit an abergläubisch, hatte Hope nicht nur auf Damien, sondern auch auf seinen stärksten Konkurrenten Rain Maker gesetzt. Und da diese Marotte nicht allgemein bekannt war, standen Jo und ihr Jockey in einem schlechten Licht da.
»So ist es eben beim Rennsport«, sagte sich Jo und versuchte, die Anrufe als Überreaktion enttäuschter Anhänger der Pferdewette abzutun.
Doch je länger sie vor ihrem Colaglas saß, desto mehr wuchs ihre Unruhe. Da sie wusste, dass Charlie ohnehin schlecht schlief und sich abends meist langweilte, beschloss sie, die Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Sie ging in sein Arbeitszimmer, in das er sich oft flüchtete, um über Stammbäumen zu brüten und die neuesten Branchennachrichten zu lesen.
Charlie saß dort, von Büchern und Zeitschriften umgeben, und war über ein Kreuzworträtsel gebeugt.
»Die Anrufe machen mir keine Sorgen. Aber wie konntest du nur so dämlich sein?« Trotz seiner undeutlichen Aussprache war die Bedeutung seiner Worte sonnenklar, denn er griff nach einer Handvoll von Zeitungsausschnitten überregionaler Blätter und wedelte Jo damit vor der Nase herum.
Entsetzt über die Wut in seinem Blick, lief Jo feuerrot an. Seine heftigen Vorwürfe führten ihr wieder ihre Unfähigkeit im Fall Dopey vor Augen.
»Aber, Dad, das haben wir doch schon alles besprochen«, rief sie,
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