Wohin der Wind uns trägt
herangelassen hatte. Und natürlich hatte diese prompt versucht, ihn zu beißen. Als Jo ihr Pferd rasch herumriss, hatte sie sich die verletzte Schulter gezerrt und war die halbe Nacht mit Schmerzen wach gelegen. Sie zurrte Fizzys Sattelgurt fest und bemühte sich, nicht auf das beharrlich dumpfe Pochen zu achten.
Nervös stieg Jo auf, steckte die mit Sporen versehenen Stiefel in die Steigbügel und nahm ihren Platz in der Reihe der Turnierteilnehmer am Startpunkt des Querfeldeinparcours ein. Dabei warf sie einen raschen Seitenblick auf Selena, die an einem Schokoriegel knabberte.
Es war so ungerecht, dass Selena essen konnte, was sie wollte, trotzdem gertenschlank und eine ausgezeichnete Reiterin war und außerdem keinen einzigen Pickel im Gesicht hatte. Jo hingegen hatte vor lauter Lampenfieber einen Ausschlag am Hals bekommen. Sie trug das hellblaue Club-T-Shirt, das für das Querfeldeinrennen zugelassen war, und dazu ihre beige Reithose. Unter dem polierten Sattel lag die neue cremefarbene Satteldecke von Pete. An Fizzys Beinen waren ordentlich die Gamaschen befestigt, und er trug schützende Springglocken über den Hufen. Jo ahnte nicht, dass sie und Fizzy unter allen Teilnehmern das beeindruckendste Bild abgaben.
In Jos Klasse gab es weitere sechs Wettbewerber – einschließlich Selena McFarlan, die ihr einen finsteren Blick zuwarf, sich den Rest des Schokoriegels in den Mund stopfte und Cassie dann auf und ab gehen ließ. Mit jeder Sekunde krampfte sich Jos Magen mehr zusammen. Sie spürte, wie sich der Schweiß unter ihrer Reitkappe sammelte, während auch sie ihr Pferd bewegte, damit es nicht kalt wurde.
Zum vierten Mal zog sie die Weste mit der aufgedruckten Startnummer 59 zurecht. Um sich ein wenig von dem bevorstehenden Rennen abzulenken, blickte sie sich um, und ihr blieb fast das Herz stehen: Dr. Brunswick steuerte auf das Zelt mit den Erfrischungen zu. Mit ihm hatte sie überhaupt nicht gerechnet, und sie hätte auf seine Anwesenheit gut verzichten können.
»Was soll ich nur tun?«, flüsterte sie Dianne verzweifelt zu. »Wenn er mich sieht, wird er es Mum erzählen.«
Fizzy wieherte aufgeregt.
»Er ist viel zu sehr mit seiner zickigen kleinen Enkelin beschäftigt, die heute zum ersten Mal dabei ist. Also wird er sich nicht für dich interessieren. Außerdem ist es sowieso zu spät«, erwiderte Dianne, die in einer anderen Klasse ritt und heute nicht antrat. »Hast du dir eigentlich überlegt, was du mit dem Pokal machst, wenn du ihn gewinnst? Willst du ihn unter dem Bett verstecken?«
»Noch habe ich ihn nicht«, zischte Jo.
Dr. Brunswick blickte in ihre Richtung, aber in diesem Moment beorderte der Wettkampfleiter zu Jos Erleichterung alle Teilnehmer auf eine andere Koppel, ein Stück entfernt von den Zuschauern.
In den nächsten fünf Minuten galt Jos Aufmerksamkeit nur dem immer ängstlicheren Fizzy, den sie im Kreis gehen ließ, damit er vor dem Start nicht die Nerven verlor. Endlich war sie an der Reihe. Während des 30 Sekunden dauernden Countdowns vor den beiden Baumstümpfen, die als Startpfosten dienten, bedankte sie sich im Stillen noch einmal bei Winks.
»Drei! Zwei! Eins! Los!«, rief der Wettkampfleiter.
Jo trieb Fizzy zu einem raschen Trab an. Im nächsten Moment hatten sie die Startlinie hinter sich gelassen und das erste Hindernis passiert. Jo spürte den Wind im Gesicht und bemerkte, wie Fizzys kraftvolle Schritte länger wurden. Ihre Nervosität legte sich.
Leichtfüßig übersprang das Pferd Hindernis um Hindernis und galoppierte in gleichmäßigem Rhythmus weiter. Jo wurde immer ruhiger und genoss den Ritt allmählich. Sie preschten den Hügel hinunter und überquerten die Brücke. Der gefürchtete Wassergraben kam immer näher. Jo wurde von Aufregung ergriffen. Sie würde es schaffen. Fizzy würde die Herausforderung meistern. Jo presste sich tiefer in den Sattel und lenkte das Pferd im richtigen Winkel auf das Hindernis zu. Ihre Hände in den Reithandschuhen waren schweißnass, das Herz klopfte ihr bis zum Halse, und ihr Mund war trocken. Sie spürte Fizzys Angst.
»Ruhig, Fizzy«, flüsterte sie und fasste die Zügel straffer. Unter dem T-Shirt lief ihr der Schweiß hinunter. Fast hatten sie das Hindernis erreicht, doch in der letzten Sekunde verweigerte Fizzy und wäre beinahe gegen den Balken geprallt.
»Verdammt«, zischte Jo und wendete das Pferd, wohl wissend, dass jede Sekunde zählte. »Komm schon, Fizzy. Du kannst es. Es ist doch nur eine Pfütze«,
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