Wohin der Wind uns trägt
mit seiner Frau Dublin Park verlassen hatte, entspannte sich die Lage deutlich. Wayne gründete eine Firma, die Rattanmöbel aus Sri Lanka importierte. Zwei Jahre lang hatte das Unternehmen zu Charlies und Elaines großer Freunde floriert. Doch nach der Geburt von Waynes und Amys zweitem Kind fingen die finanziellen Schwierigkeiten an. Wayne hatte sich überschuldet, hohe Summen aus dem Firmenvermögen verspielt und auf großem Fuß gelebt. Amy, die das nicht länger ertragen konnte, trennte sich von Wayne und zog mit den Kindern in ihre Heimatstadt. Die Firmenpleite und das Scheitern seiner Ehe hatten Waynes Neid und die Abneigung gegen seinen Bruder noch gesteigert. Und so setzte er nach seiner Rückkehr nach Dublin Park alles daran, Charlie, Nina und ihrer Familie das Leben zur Hölle zu machen. Das Zerwürfnis zwischen ihren Söhnen hatte Elaine fast das Herz zerrissen. Charlie selbst ließ sich kaum noch in Dublin Park blicken, aber er hinderte zumindest seine Kinder nicht daran, ihre Großmutter zu besuchen.
Jeannie, Elaines jüngste Tochter, hatte einen Rinderzüchter geheiratet und betrieb mit ihm im Nordwesten von Queensland eine Farm. Mutter und Tochter telefonierten zwar häufig, sahen sich wegen der großen Entfernung jedoch nur selten.
Zu einer weiteren schweren Krise war es gekommen, als Charlies bester Freund begann, die Pferde des Gestüts aufzukaufen. Kurt Stoltz hatte es geschafft, sich als Pferdetrainer zu etablieren, und ergriff die Gelegenheit beim Schopf, die sich durch die missliche finanzielle Lage der Kingsfords ergab. Die bereits auf tönernen Füßen stehende Freundschaft der beiden Männer zerbrach, als Charlie ohnmächtig mit ansehen musste, wie Kurt sein Gestüt Rosefield Stud immer weiter ausbaute: Mit den Zuchthengsten und Zuchtstuten der Kingsfords und auf zwei Dritteln des Landes, das seit 1865 zu Dublin Park gehört hatte. Diese Ereignisse waren eine ungemeine Belastung für Elaine und Charlie gewesen, hatten Mutter und Sohn aber noch enger zusammengeschweißt.
Zwei Derbysieger und ein Gewinner des Melbourne Cups hatten auf Rosefield Stud das Licht der Welt erblickt. Dann gründete Kurt ein Weingut, Rosefield Estate, das hauptsächlich den wachsenden Markt in Übersee bediente. Nie würde Elaine Charlies zornigen Blick vergessen, als er schwor, es Kurt eines Tages mit gleicher Münze heimzuzahlen.
»Der arme Sidney hat sich ganz umsonst geplagt. Dabei hat er so große Hoffnungen in Dublin Park und die Zukunft der Familie Kingsford gesetzt«, dachte Elaine mit einem Aufseufzen.
Charlie hatte es zwar von ihren drei Kindern am weitesten gebracht, doch sein Erfolg hatte die Familie eher gespalten als vereint. Aber als Elaine Jos strahlendes Gesicht, ihre aufgeregt funkelnden violetten Augen und ihre überschäumende Lebenskraft sah, während sie von ihrer Liebe zu Pferden sprach, wuchs ihre Zuversicht wieder.
»Ich stelle doch hoffentlich nicht zu viele Fragen?«, meinte Jo, der der Seufzer ihrer Großmutter nicht entgangen war.
»Nein, nein, überhaupt nicht«, erwiderte Elaine liebevoll.
»Erzähl mir mehr von Dublin Park, Gran«, bettelte Jo mit weit aufgerissenen Augen. »Ich will alles darüber wissen. Wie viele Hengste habt ihr? Wie heißen sie? Welche Stuten sind die besten? Wie viele Fohlen sind bereits geboren worden? Wie viele erwartet ihr noch? Wer passt auf sie auf? Was kann ich tun …?«
In diesem Moment wieherte in der Ferne ein Pferd. Jo sprang auf, eilte zum Fenster, schob die alten Brokatvorhänge beiseite und spähte in die Dunkelheit hinaus. Autoscheinwerfer bewegten sich rasch den Hügel hinauf. Sie konnte es kaum erwarten, morgen mit anzupacken.
»Wo soll ich denn anfangen?«, erkundigte sich Elaine, angesteckt von Jos Begeisterung. Allein die Anwesenheit des Mädchens sorgte dafür, dass sie sich viele Jahre jünger fühlte.
»Wo du willst«, antwortete Jo, die inzwischen zurückgekehrt war und sich in die dicken Polster des Rattansofas kuschelte.
»Aber vorher brauchen wir einen Happen zu essen«, meinte Elaine und lief in die Küche, wo sie die Köchin, die gerade zu Bett gehen wollte, anwies, Tee, Kuchen und für Jo eine heiße Schokolade zu servieren. Dann nahm sie drei dicke Fotoalben aus dem vollgestopften Bücherregal im Wohnzimmer, setzte sich neben Jo und zeigte ihr die Fotos der zuletzt auf dem Gestüt eingetroffenen Stuten.
»Ich habe kurz nach der Hochzeit mit deinem Großvater mit dem Fotografieren angefangen. Wir hatten zwar offizielle
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