Wohin der Wind uns trägt
Glück nicht viele kranke Fohlen, aber es gibt um diese Jahreszeit für eine Tierpflegerin und zwei Pferdeburschen trotzdem genug zu tun. Sicher werden sie sich über deine Hilfe freuen.«
»Warum hast du mich nicht geweckt, Gran?«, stöhnte Jo, steckte sich die Bluse in den Hosenbund und griff nach der Schachtel mit den Frühstücksflocken.
»Ich habe es nicht übers Herz gebracht, mein Kind. Als ich gegen sieben zur Tür hineingeschaut habe, hast du tief und fest geschlafen. Schließlich sind wir erst sehr spät zu Bett gegangen. Vor ein paar Minuten hat mich Linda aus dem Büro angerufen. Wenn du dich mit dem Frühstück beeilst, triffst du sie noch auf ihrer Runde mit Phillip Gregg, dem neuen Tierarzt. Sie sind entweder mit dem Hufschmied in Scheune eins oder unten in der Krankenstation. Eines der neuen Fohlen hat eine schlimme Kolik. Ich werde später selbst nach dem Rechten sehen.«
Sie machte sich rasch eine Notiz in ihren Kalender. Die armen kleinen Fohlen. So viele bekamen gleich nach der Geburt schweren Durchfall. Obwohl es in diesem Jahr nur wenige Fälle gegeben hatte, würde die Anzahl der Erkrankungen sicher steigen, sobald das Wetter wärmer wurde. »Nimm deine Jacke mit, Kind. Es ist trotz der Sonne ziemlich kühl draußen«, fügte sie hinzu.
Jo schlang eine Schale mit Frühstücksflocken hinunter, kippte ein Glas Orangensaft hinterher und riss ihre Jacke von dem Haken, an dem sie sie am Vorabend aufgehängt hatte.
»Danke, Gran, bis später.« Grinsend stürmte sie zur Tür hinaus. »Du kannst nachher mitkommen, alter Junge«, meinte sie zu Sam und tätschelte ihn rasch, bevor sie über die Veranda und dann zu den Scheunen hinter der Koppel lief, wo die Zuchtstuten und ihre Fohlen untergebracht waren.
Die Pferde standen da und säugten ungerührt ihren Nachwuchs, als Jo vorbeihastete. Nur einige junge Stuten erschraken über die plötzliche Bewegung, legten die Ohren an und scheuchten ihre Fohlen zum anderen Ende der Koppel.
Großmutter hatte recht. Seit gestern Abend hatte der Wind ziemlich aufgefrischt, fuhr unter Jos Bluse und zerrte an ihrem Haar. Eilig schlüpfte sie beim Rennen in ihre Jacke und zog den Reißverschluss bis zum Kinn. Jo erreichte Scheune eins, und die Pferde streckten neugierig die Köpfe aus ihren Boxen. Ein Hahn stolzierte majestätisch oben auf dem Rand einer Boxenwand entlang. Sein Ehrfurcht gebietendes Krähen übertönte die Stimmen des Hufschmieds und des jungen Pferdepflegers, die gerade mit einem drei Monate alten Fohlen beschäftigt waren. Rasch sah Jo sich um: von Linda und dem Tierarzt keine Spur. Bibbernd vor Kälte, wünschte sie, sie würde mehr bekannte Gesichter sehen, doch in den letzten beiden Jahren hatten in Dublin Park einige personelle Veränderungen stattgefunden.
»Sie ist drüben bei den kranken Fohlen«, verkündete der Stallbursche mit einem breiten irischen Akzent und wies mit dem Kopf in Richtung Tür. »Aber pass auf, was du sagst. Sie war die ganze Nacht auf den Beinen und hat sehr schlechte Laune.«
»Danke für den Tipp«, erwiderte Jo und lief hinaus.
Linda saß in der dritten Box der Krankenstation auf einem Strohhaufen. Sie trug einen weißen Schutzanzug und Gummihandschuhe. Den Rücken an die Wand gelehnt, versorgte sie ein dehydriertes, vier Tage altes Fohlen, das schweren Durchfall hatte. Der Kopf des Fohlens ruhte auf ihrem rechten Bein. Rechts von ihr hing an einer Heugabel ein halb voller Beutel mit einer klaren Flüssigkeit. Der Schlauch endete an einem Katheter im Hals des Fohlens, der von einem Verband festgehalten wurde. Daneben stand die Stute, eine Braune mit freundlichen Augen, die ihr krankes Fohlen unablässig leckte.
»Sie trinkt seit vierundzwanzig Stunden nichts mehr, Sue, wir müssen sie weiter mit Flüssigkeit vollpumpen«, sagte Linda zu dem pummeligen dunkelhaarigen Mädchen, das über einem dicken Pulli ebenfalls einen Schutzanzug trug und etwas in ein Buch notierte. Linda unterdrückte ein Gähnen und überprüfte Herzschlag und Atmung des Fohlens. »Phillip soll es sich noch einmal ansehen, wenn er zurückkommt. Aber ich glaube, es wäre das Beste, diesen Beutel aufzubrauchen und ihm in ein paar Stunden noch zwei Liter Hartmannlösung zu geben.«
»Soll ich das Füttern übernehmen?«, erbot sich Jo. Sie spähte in die Box und bemerkte Lindas hängende Schultern und die dunklen Schatten unter ihren Augen. Da ihre eigene Schulter nur noch hin und wieder protestierte, hatte sie keine Angst vor schwerer
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