Wohin die Liebe führt
»Wirklich? Nun, es freut mich, das zu hören.«
»Es scheint Sie zu überraschen?«
»Gewissermaßen ja«, gab Nora zu. »Aber ich glaube, daß Eltern selten die Fähigkeiten ihrer Kinder richtig erkennen.«
Marian antwortete nicht. Interessierte Eltern erkennen die Fähigkeiten ihrer Kinder. »Bitte, erzählen Sie mir etwas über Danis Betragen zu Hause. Über ihr Betragen in der Schule bin ich schon ziemlich im Bilde.«
Nora sah Marian neugierig an. »Waren Sie heute vormittag schon in Miss Randolphs Schule?«
Marian nickte. »Dort ist sie anscheinend sehr beliebt. Sowohl die Lehrer wie die Mitschülerinnen halten sie für ein besonders nettes Mädchen.«
Sie fügte nicht hinzu, daß alle in der Schule es als sonderbar bezeichnet hatten, wie wenig Interesse Dani an dem üblichen Tun und Treiben der anderen Mädchen zeigte. Sie galt als Einzelgängerin. Sie schien die Gesellschaft Erwachsener der ihrer Altersgruppe vorzuziehen, obwohl sie bei Partys und kleinen Tanzgesellschaften bereitwillig mitmachte.
»Es freut mich, das zu hören«, sagte Nora wieder.
Der Diener kam herein. Sie schwiegen, während er den Tee servierte. Als Charles sich mit einer Verbeugung entfernt hatte, blickte Nora fragend zu Marian. »Wo soll ich anfangen?«
»Wo es Ihnen beliebt. Je mehr wir über Dani wissen, um so besser sind wir in der Lage, ihr zu helfen.«
Nora nickte. »Dani hat hier zu Hause ein sehr alltägliches Leben geführt. Bis vor vier Jahren hatte sie eine Nurse - eine Gouvernante, die seit ihrer Babyzeit bei ihr war. Dann meinte Dani, sie sei nun zu alt für so etwas, und ich entließ die Frau.«
»Fand Dani das?« fragte Marian. »Traf sie die Entscheidung?«
»Ja. Sie merkte, daß sie kein Kind mehr war.«
»Wer hat sie seitdem beaufsichtigt?«
»Dani war immer sehr selbständig. Violet, das ist meine Zofe, kümmerte sich um ihre Kleidung, genau wie um die meine. Sonst schien Dani keiner besonderen Aufmerksamkeit zu bedürfen.«
»Ist sie viel ausgegangen?« fragte Marian. »Ich meine mit Jungen und Mädchen ihres Alters?«
Nora dachte einen Augenblick nach. »Nicht daß ich mich erinnern könnte. Ich bin freilich immer sehr beschäftigt gewesen, wie Sie wissen. Ich habe mich nicht viel um Danis geselliges Leben gekümmert. Ich dachte oft daran, wie lästig es mir immer war, daß meine Mutter ständig fragte, wo ich gewesen sei. Das wollte ich Dani nicht antun. Vor ein paar Monaten kam sie einmal von einer Party, und ich fragte sie, wie es gewesen war. Sie antwortete mir: >Recht nett<, aber als ich weiterfragte, was sie denn getan hätten, sagte sie, nun das, was sie immer täten. Getanzt und Spiele gespielt. Dann sah sie mich ein bißchen sonderbar an und sagte mürrisch: >Du kennst doch den Rummel, Mutter. Alle möglichen Spiele. Und die sind so dumm und kindisch, daß sie mich schrecklich langweilen.< Ich verstand ganz genau, was sie sagen wollte. Mir war es in ihrem Alter ebenso gegangen.«
»Wie kam sie mit Mister Riccio aus?« fragte Marian.
Nora warf ihr einen sonderbaren Blick zu. »Sehr gut«, sagte sie schnell. Viel zu schnell, dachte Marian. Sie meinte jetzt etwas Ausweichendes in Noras Stimme zu hören. »Sie mochte Rick sehr gern. Aber schließlich. ich glaube, sie hat meine Freunde immer lieber gemocht als ihre eigenen.«
»Männliche Freunde, meinen Sie?«
Nora zögerte, dann nickte sie. »Ich glaube, ja. Ich habe infolge meiner Arbeit nicht viele Freundinnen.«
»Meinen Sie, Dani könnte sich irgendwie besonders an Mister Riccio angeschlossen haben?«
Wieder das unmerkliche Zögern. »Möglich ist es schon. Anscheinend hat Dani immer Männer lieber gehabt. Ich erinnere mich, wie gern sie meinen zweiten Mann hatte. Und als Rick ins Haus kam, hat sie das Gefühl vielleicht auf ihn übertragen. Ich glaube, es war eine Art Vaterkomplex.«
Marian nickte.
»Ihr Vater besuchte Dani nicht mehr, als sie ungefähr acht Jahre war. Sie hat sich schrecklich darüber aufgeregt. Obwohl ich ihr hundertmal erklärte, warum er nicht mehr kam.« »Darauf war ich neugierig«, sagte Marian. »Was war, genau gesagt, der Grund, daß er nicht mehr kam?«
»Ich kann’s Ihnen wirklich nicht sagen. Er hat damals sehr viel getrunken. Wir sind wegen seines unmäßigen Trinkens geschieden worden. Und in den darauffolgenden Jahren scheint es noch schlimmer geworden zu sein. Er trank mehr denn je und lebte in La Jolla auf einem Boot, mit dem er Charterfahrten machte. Ich glaube, es war ihm mit der Zeit einfach
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