Wohin die Liebe führt
um zu wissen, was darin war. Sie hatte genug solche Schachteln gesehen. Man bekam sie im ganzen Land in jedem öffentlichen Waschraum, wenn man ein Fünfzigcentstück in einen Automaten warf.
Sally Jennings sah von ihrem Tisch auf, als Dani in das kleine Büro trat. »Setz dich, Dani.« Sie schob ihr ein Päckchen Zigaretten hin. »Ich habe noch ein paar Minuten zu tun. Ich muß nur diesen Bericht fertigmachen.«
Dani nahm eine Zigarette heraus und zündete sie an. Sie sah zu, wie die Feder der Psychologin über das liniierte gelbe Papier flog. Nach ein paar Minuten fand sie es langweilig und blickte aus dem Fenster. Es war spät am Nachmittag. Die grellgelbe Sonne hatte schon ein paar schwach orangene Töne. Plötzlich wünschte sich Dani, draußen zu sein, im Freien.
Welcher Tag war heute eigentlich? Offenbar hatte sie jedes Zeitgefühl verloren. Sie sah auf den Kalender. Mittwoch. Am Samstag war sie gekommen. Also ihr fünfter Tag hier. Sie rückte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Es kam ihr schon sehr lange vor. Dann schaute sie zum Himmel hinauf. Wie hübsch wäre es, draußen zu sein. Wie sah es wohl auf der Straße aus? Ob viele Leute spazierengingen? Ob viel Verkehr war? Wie hatten sich eigentlich die Bürgersteige beim Gehen an ihren Schuhsohlen angefühlt? Sie wünschte, sie hätte einen Blick auf die Straße werfen können. Aber sie konnte es nicht. Nicht von diesen Räumen aus. Die Fenster waren zu klein und zu hoch oben.
Sie sah wieder auf Miss Jennings. Die schrieb noch immer, mit einer nachdenklichen Falte auf der Stirn. Wie lange sollte sie hier noch sitzen, bis die Psychologin fertig war? Wieder spähte sie nach dem Himmel hinauf. Jetzt schoben sich ganz hoch oben kleine orangene Wölkchen vorbei. Solche Wölkchen hatte sie
einmal in Acapulco gesehen. Am Himmel über den Klippen, wo die Jungens am Abend mit flammenden Fackeln ins Meer sprangen.
Da war ein netter Junge gewesen. Er hatte sie angelacht. Seine weißen Zähne hatten im Dunkeln geblitzt. Und sie hatte zurück-gelächelt. Da war Rick ärgerlich geworden.
»Kokettier nicht so mit diesen Bengels!« hatte er gesagt.
Sie hatte ihn mit dem Blick großäugiger Unschuld angesehen, der ihn immer wütend machte. Sie wußte: Er fand, mit diesem Blick glich sie ihrer Mutter mehr als sonst. »Warum nicht?« hatte sie gefragt. »Er ist doch ein netter Junge?!«
»Du kennst diese Lümmel nicht. Sie sind nicht wie andere Jungen. Sie werden dich belästigen. Sie wissen nicht, daß du noch ein Kind bist.«
Sie hatte zuckersüß gelächelt. »Warum denn nicht, Rick?«
Und dann flogen seine Augen über ihren weißen Badeanzug. Er wurde rot. Sie wußte genau, warum er rot wurde. Sie hatte ihn schon oft dabei ertappt, daß er sie so angesehen hatte. »Warum denn nicht, Rick?«
»Weil du nicht aussiehst wie ein Kind - darum!« sagte er gereizt. »Du siehst nicht aus wie dreizehn.«
»Wie alt sehe ich denn aus, Rick?«
Sie merkte, wie er sie wieder musterte. Er tat es fast unwillkürlich. »Du bist ein großes Mädchen. Man kann dich für siebzehn halten. Vielleicht sogar für achtzehn.«
Sie lächelte ihm zu, dann drehte sie sich wieder nach dem Jungen um, weil sie wußte, es würde Rick noch ärgerlicher machen.
In diesem Augenblick war ihre Mutter gekommen. »Oh, verdammt, Rick. Scaasi verlangt, daß ich heute abend nach San Francisco fliege, um diesen Vertrag zu unterschreiben.«
»Mußt du unbedingt?«
»Ja, ich muß.«
»Gut. Dann geh ich, unsre Koffer packen«, sagte Rick und arbeitete sich aus dem Sand.
»Nein, es ist nicht nötig, daß wir alle abreisen. Du kannst mit Dani hierbleiben. Ich bin morgen zum Lunch wieder zurück.«
»Gut, aber ich begleite dich zum Flughafen.«
Dani stand auf. »Ich komme auch mit, Mutter.«
Und dann war Nora abgeflogen.
Als Dani und Rick aus dem Flughafen kamen, gingen sie an einem Souvenirladen vorbei, an einer dieser Touristenfallen, die alles verkaufen, von billigem Schmuck bis zu Bauernröcken und Blusen. Dani hatte sich im Schaufenster die Röcke angesehen.
»Möchtest du gern einen haben?« hatte Rick gefragt. Sie waren hineingegangen, und er hatte ihr eine Bluse und einen Rock gekauft. Am Abend zum Dinner zog sie beides an und ließ sich das Haar lang bis auf die Schultern fallen, ungefähr im Stil der mexikanischen Pagen.
Sie sah, wie Ricks Augen groß wurden. »Wie gefalle ich dir?« fragte sie. - »Ganz groß, Kleines. aber.«
»Was - aber?«
»Deine Mutter! Ich bin neugierig, was
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