Wohin die Liebe führt
rufe Arlene Gately, damit sie Sie führt«, sagte Nora zu Dr. Bell. Arlene Gately hatte eine kleine Kunstgalerie in der unteren Stadt und war Noras Betreuerin und Agentin.
»Das ist nicht nötig. Ich würde viel lieber auf eigene Faust herumstöbern.«
»Also bitte!« Sie lächelte. »Und wenn Sie irgend etwas wissen wollen, tragen Sie mich.«
Der Professor machte eine kleine Verbeugung und ging. Nora wandte sich zu Sam.
»Du Stinktier!« flüsterte sie. »Du hättest mir doch einen Tip geben können!«
»Das wollte ich. Aber jedesmal, wenn ich mich nach dir umsah, warst du von Menschen umringt.« Er fischte eine Pfeife aus seinem Jackett und steckte sie in den Mund. »Übrigens - stimmt es, daß du nächsten Monat in New York im Clay Club ausstellst?«
Sie sah ihn neugierig an. »Woher weißt du das?«
»Von Arlene. Woher sonst?«
»Manchmal schwatzt Arlene zuviel«, sagte sie. »Es ist noch nichts Endgültiges.« Sie sah sich nach Professor Bell um. »Und du meinst wirklich, er wird etwas nehmen?«
»Wer weiß? Unberufen toi, toi, toi. Es ist Zeit, daß San Francisco mit einem wirklichen Bildhauer außer Búfano herauskommt.«
»Und du glaubst, ich bin eine echte Bildhauerin, Sam?« sagte sie, und plötzlich waren ihre Augen ganz ehrlich und ernst.
»Die echteste, die es gibt«, sagte er ebenso ernst. »Und ich habe so eine Ahnung, daß Bell derselben Meinung sein wird.«
Sie holte tief Atem. »An so viel Holz kann ich gar nicht klopfen, Sam!«
Er wandte sich wieder zu ihr und lächelte. »Wenn’s gut ausgeht, werde ich mir zur Abwechslung einmal nicht von einer Künstlerin anhören müssen, daß die einzig wahre Inspiration im Marxismus zu finden ist!«
Sie lachte. »Armer Sam, du hast schon deine Sorgen, nicht wahr?«
»Woher weißt du das?« fragte er trocken. »Ich habe dich in letzter Zeit sehr selten zu sehen bekommen.«
Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Das liegt nicht daran, daß ich dich weniger liebe, Sam. Ich habe kaum Zeit für mich selbst gehabt. Zwischen der Flugzeugfabrik und meinem Atelier blieb mir nur verdammt wenig Zeit.«
»Du siehst etwas nervös aus. Ich glaube, du brauchst eine
meiner berühmten Entspannungskuren.«
Sie sah ihn nachdenklich an. Sie waren beide nicht naiv. Und eine Liebe ist der andern wert. Es bedeutete nichts und bedeutete alles. Das war nun einmal die Welt, in der sie lebten.
»Es ist ziemlich lange her, Sam, nicht wahr?«
»Zu lange«, antwortete er.
»Meinst du, der Herr Doktor könnte heute abend für mich Zeit haben?«
»Ich denke, der Herr Doktor kann’s einrichten. Um acht - in meiner Wohnung?«
»Gut. Ich komme.«
Sie sah ihm nach, wie er zu Professor Bell ging. Sie versuchte zu hören, was er zu ihm sagte, aber eine Hand legte sich auf ihren Arm und zog sie herum.
»Nun, wie geht alles, mein Kind?«
»Großartig, Mutter.«
»Das freut mich.« Cecilia Hayden lächelte. Sie lächelte nicht oft. Aber ihr Lächeln ließ die leuchtendblauen Augen unter dem sorgsam frisierten weißen Haar wärmer erscheinen. »Ich überlegte nämlich, ob du Zeit hättest, mir einen kleinen Gefallen zu tun.«
»Was denn, Mutter?«
»Da ist ein junger Mann - der Sohn eines Freundes deines Vaters. Ich hatte nicht an deine Ausstellung gedacht, als ich ihn für heute nachmittag zu einem Cocktail einlud. Er wird wahrscheinlich zum Dinner bleiben.«
»Aber Mutter.« Nora sprach mit gereizter Stimme. »Der Zeitpunkt ist wirklich schlecht gewählt. Ich habe jetzt einfach zuviel im Kopf.«
»Bitte, Nora.«
Nora sah ihre Mutter an. Diese beiden Worte erübrigten jedes
Argument. Trotz ihres zarten Äußeren war Cecilia Hayden hart wie Stein. »Er ist anscheinend ein sehr netter junger Mann«, fuhr sie fort. »Ein Kriegsheld. Und er hat nur drei Tage Zeit, ehe er wieder hinaus muß. Ich bin überzeugt, daß er dir gefallen wird. Ich habe Charles gesagt, er soll ihn herbringen, sobald er kommt.«
Nora nickte und wandte sich um, als Sam gerade mit aufgeregtem Gesicht zu ihr kam. »Er will den >Sterbenden Mannc/c
»Ausgerechnet!« sagte Nora entsetzt.
»Ihm gefällt er.«
»Red’s ihm aus«, bat sie. »Ich wollte den >Sterbenden Mann< ja gar nicht in die Ausstellung hineinnehmen, und ich hätt’s auch nicht getan, wenn ich nicht gerade ein großes Stück gebraucht hätte, um die Ecke auszufüllen. Heute arbeite ich überhaupt nicht mehr so.«
»Das ist doch egal. Er will gerade dieses Stück.«
Sie drehte sich um und sah über die vielen Menschen hinweg auf
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