Wohin die Liebe führt
Untersuchungsrichter wandte sich an die Geschworenen. »Nach den Gesetzen des Staates Kalifornien darf kein Jugendlicher vor ein Gericht gestellt werden, von dem er möglicherweise wegen eines Verbrechens verurteilt werden kann. Das einzig zuständige Gericht ist das Jugendgericht. Da wir hier nur die Aufgabe haben, die physische Ursache für den Tod des Verstorbenen festzustellen, darf den Geschworenen die Aussage verlesen werden, die die betreffende Jugendliche gemacht hat.«
Er wandte sich wieder an den Inspektor: »Würden Sie uns bitte die Aussage vorlesen, Inspektor Myrer?«
Inspektor Myrer zog einen zusammengefalteten Bogen aus seiner Brusttasche. Er faltete ihn auseinander und begann zu lesen:
Aussage der Jugendlichen Danielle Carey:
Mein Name ist Danielle Nora Carey. Ich lebe bei meiner Mutter, Nora Hayden, in San Francisco. Ich war oben in meinem Zimmer und bereitete mich auf die Semesterprüfung vor, als ich Stimmen hörte, die aus dem untenliegenden Atelier meiner Mutter kamen. Ich wußte, daß meine Mutter und Rick schon den ganzen Tag über etwas gestritten hatten. Gewöhnlich blieb ich in meinem Zimmer, wenn sie sich stritten, denn es war immer sehr aufregend. Aber dieser Streit war den ganzen Tag immer heftiger geworden, und ich fing an, mich um meine Mutter zu ängstigen. Schon früher einmal, als sie sich stritten, hatte Rick sie geschlagen. Sie konnte drei Tage nicht ausgehen, weil sie ein zugeschwollenes Auge hatte und meine Mutter sich nicht damit in der Öffentlichkeit sehen lassen wollte.
Ihre Stimmen wurden immer lauter. Dann meinte ich, meine Mutter schreien zu hören, und Rick schrie: »Ich bringe dich um!«, und dann lief ich aus meinem Zimmer hinunter ins Atelier. Ich ängstigte mich sehr um meine Mutter, und als ich die Tür des Ateliers öffnete, sah ich, daß Rick ihren Arm gepackt hatte und nach hinten drehte und sie rückwärts über einen Tisch zwingen wollte. Ich ergriff den Meißel, der auf dem Tisch neben der Tür lag, und lief auf die beiden zu. Ich schrie Rick an, er solle meine Mutter loslassen. Er ließ auch ihren Arm los und wandte sich zu mir um, trat einen Schritt auf mich zu und sagte, ich solle mich zum Teufel scheren. Ich vergaß, daß ich den Meißel in der Hand hatte, und stieß ihn mit der Faust in den Bauch.
Eine Sekunde stand er still, dann legte er die Hände an den Bauch und sagte: »Herr im Himmel, Dani, warum mußtest du so etwas Idiotisches tun?« Dann sah ich den Meißel, der zwischen seinen Händen steckte, und sah das Blut, das ringsherum herausquoll. Ich rannte an ihm vorbei zu meiner Mutter und schrie: »Das hab ’ ich nicht gewollt!« Meine Mutter stieß mich beiseite und lief zu Rick. Er drehte sich zu ihr, zog den Meißel heraus und gab ihn ihr in die Hand. Das Blut spritzte aus Rick heraus, und meine Mutter ließ den Meißel auf den Boden fallen. Rick tat einen Schritt auf sie zu, dann fiel er hin. Ich konnte es nicht mehr ansehen und bedeckte mein Gesicht mit meinen Händen und fing an zu schreien.
Dann kamen Charles und Violet herein, und Violet schlug mich ins Gesicht, und ich hörte auf zu schreien. Dann kam Doktor Bonner und sagte mir, daß Rick tot ist. Ich glaube, das ist alles, außer daß ich es wirklich nicht hatte tun wollen.
Ich habe die vorstehende Aussage durchgelesen, die ich aus eigenem Willen und Entschluß gemacht habe, und füge hinzu, daß sie ein wahrer und getreuer Bericht der darin beschriebenen Ereignisse ist.
Der Polizeiinspektor sah die Geschworenen an. Er sprach noch mit derselben flachen, ausdruckslosen Stimme: »Es ist natürlich unterzeichnet mit Danielle Nora Carey.«
Der Untersuchungsrichter wandte sich an den Stellvertreter des Distriktsanwalts. »Haben Sie irgendwelche Fragen, Mister Carter?«
Carter schüttelte den Kopf.
»Danke, Inspektor. Sie können abtreten.«
Der Gerichtsschreiber stand auf, als der Inspektor an ihm vorbeiging. »Nora Hayden.«
Ich erhob mich, als Nora an mir vorbei in den Gang trat. Ihr Gesicht war bleich und gefaßt, ihre Lippen fest zusammengepreßt. Zum erstenmal sah ich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrer Mutter. Sie hielt sich sehr gerade, mit vorgestrecktem Kinn. Sie trat sozusagen mit fliegenden Fahnen auf. Sie legte den Eid ab und ging in den Zeugenstand. Harris Gordon setzte sich neben den Vertreter der Distriktsanwaltschaft. Die Stimme des Untersuchungsrichters war mitleidig und sanft. »Bitte, sagen Sie den Schöffen, was Sie von den bereits geschilderten
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