Wohin die Liebe führt
Ereignissen wissen, Miss Hayden.«
Sie sprach leise, aber ihre Stimme trug. Zumindest bis zu den Schöffen und den ersten Sitzreihen. Aber ich spürte, wie sich die Leute hinter mir anstrengten, sie zu verstehen.
»Mister Riccio und ich hatten uns gestritten. Er war mehrere Jahre lang mein Manager gewesen, aber ich war mit seiner Arbeit nicht mehr zufrieden und hatte ihm gekündigt. Er wollte sich nicht mit der Kündigung abfinden. Die Auseinandersetzung darüber dauerte den ganzen Tag an. Endlich kam er am Abend, während ich arbeitete, in mein Atelier und wurde sehr beleidigend. Ich forderte ihn auf, mich in Frieden zu lassen: Ich könne so nicht arbeiten und mich nicht konzentrieren, und das würde dem Werk schaden, an dem ich gerade arbeite. Da packte er mich bei den Schultern, schüttelte mich heftig und rief, er lasse sich mit solchen Ausflüchten nicht abspeisen. Ich versuchte ihn wegzustoßen, aber er ergriff meinen Arm und bog ihn nach hinten, so daß ich sehr schmerzhaft rückwärts über den Tisch fiel. Dann ging die Tür auf. Dani kam hereingestürzt und schrie ihn an. Er drehte sich nach ihr um und sagte ihr, sie solle hinausgehen. Ich sah, daß sie auf ihn einschlug. Ich weiß noch, wie über-rascht ich darüber war. Ich hatte noch nie erlebt, daß Dani jemanden schlug. Sie war immer sehr ruhig, ein gutes Kind, still und selbstbeherrscht. Wenn man sie nicht sah, wußte man gar nicht, daß sie im Hause war. Dann drehte sich Mister Riccio wieder um, und ich sah das Blut. Dani rannte an ihm vorbei auf mich zu, sie schrie, das habe sie nicht gewollt. Ich forderte sie auf, zur Seite zu gehen, während ich Mister Riccio zu helfen versuchte. Ich begriff noch immer nicht, was geschehen war, bis ich den Meißel in seiner Hand sah. Er. er gab ihn mir und. und er war naß von Blut. Ich ließ ihn fallen. Mister Riccio begann umzusinken, ich wollte ihn noch auffangen, aber da lag er schon auf dem Boden.«
Die Tränen kamen ihr in die Augen. Sie schluckte, versuchte zu sprechen, aber die Stimme versagte ihr. Sie begann zu weinen. Aber sehr damenhaft. Das Taschentuch sanft an die Augen drückend. Im Saal war es ganz still, bis der Untersuchungsrichter mit seiner ruhigen, wohlwollenden Stimme sagte: »Bitte, geben Sie Miss Hayden ein Glas Wasser.« Der Schreiber goß ein Glas Wasser ein und brachte es Nora. Sie nippte zierlich.
»Würde Ihnen eine kurze Pause erwünscht sein, Miss Hay-den?« fragte der Untersuchungsrichter.
Nora sah ihn dankbar an. »Ich. ich glaube nicht. Es. es geht schon wieder. Vielen Dank!«
»Lassen Sie sich Zeit, Miss Hayden.«
Nora nahm noch ein Schlückchen Wasser und begann wieder zu sprechen. Ihre Stimme klang mühsam und schwach, war aber noch gut verständlich. »Dani schrie, und der Diener kam ins Atelier. Ich bat ihn, den Arzt zu rufen, während ich die Polizei benachrichtigte. Dann ging ich zu Mister Riccio und versuchte ihn etwas besser zu betten.« Wieder kamen ihr die Tränen in die Augen. »Aber ich konnte nichts tun. Niemand konnte ihm mehr helfen. Ich wußte, daß Dani nicht die Absicht gehabt hatte, ihn zu verletzen. Es war ein unglücklicher Zufall. Dani kann keiner
Fliege etwas zuleide tun.«
Sie schwieg einen Augenblick. Man konnte sehen, wie sie um Fassung rang. Dann hob sie den Kopf und sah die Geschworenen offen an. »Ich glaube, es war alles meine Schuld«, sagte sie tapfer. »Ich hätte ihr eine bessere Mutter sein sollen! Aber ich fürchte, das müßte sich jede Mutter sagen!« Das war die Spitzenleistung. Unter den Geschworenen waren fünf Frauen; sie weinten alle mit ihr.
Nora wandte sich wieder an den Untersuchungsrichter. »Ich. ich glaube, das ist alles, was ich zu sagen habe.«
Er räusperte sich ergriffen. »Haben Sie noch irgendwelche Fragen, Mister Carter?« sagte er dann.
Mr. Carter erhob sich. »Miss Hayden, Sie sagten uns, daß Sie den Diener beauftragten, den Arzt anzurufen, während Sie die Polizei benachrichtigten und dann versuchten, Mister Riccio zu Hilfe zu kommen. Ist das richtig?«
Nora nickte. »Ja.«
»Aber als Inspektor Myrer eintraf, war Ihr Anwalt, Mister Gordon, bereits da. Wann haben Sie ihn angerufen?«
»Nachdem ich die Polizei benachrichtigt hatte, glaube ich. Ich war so aufgeregt, daß ich es wirklich nicht genau sagen kann.«
Ob Carter wohl merkte, daß Nora log? Soweit ich Nora kannte, war ich davon überzeugt, daß sie selbst sich dessen nicht bewußt war. Offenbar entschloß sich Carter, es ihr durchgehen zu
Weitere Kostenlose Bücher