Wohin du auch fliehst - Thriller
Reise zurückkommen. Ich überlegte, ob er vielleicht vergessen hatte, dass er bei mir vorbeischauen wollte, obwohl wir noch Freitagabend davon gesprochen hatten, er es gestern Abend noch einmal erwähnt und mir heute von Heathrow eine SMS geschickt hatte, dass er gelandet und schon auf dem Weg nach Hause sei.
Dann fiel mir seine Schulter ein. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, lief ich zur Tür, entriegelte und öffnete sie.
Er hatte es gerade bis zum Treppenabsatz geschafft und war ein wenig außer Atem. Der Rucksack lag wie ein erlegtes Tier zu seinen Füßen, mit einer Hand hielt er den Gurt, als wollte er es in seine Höhle zurückschleppen. »Herrgott, ist das schwer!«, sagte er.
»Was ist denn drin?«
»Massenhaft Bücher. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Sie standen in Rachels Garage herum.«
Ich sah ihn einen Moment lang an. »Soll ich dir helfen, das hochzutragen?«
Zuerst antwortete er nicht. Er sah aus, als hätte er vergessen, wo er sich befand und was er hier zu suchen hatte. Er wirkte verloren.
»Darf ich reinkommen?«, fragte er schließlich.
Ich nickte und trat beiseite. Er ließ den Rucksack einfach auf dem Treppenabsatz liegen.
Sobald er in der Wohnung war, drückte ich die Tür zu, legte den Riegel vor und begann mit der Kontrolle. Dabei zählte ich, so schnell ich konnte, und achtete darauf, keinen Fehler zu machen. Stuart stand die ganze Zeit hinter mir und sah mir da bei zu.
Schließlich sagte er: »Cathy, verdammt noch mal, das ist ja entsetzlich!«
»Ich mache ja schon, so schnell ich kann.«
»Im Ernst, hör auf damit, die Tür ist zu.«
»Je mehr du redest, desto länger dauert es, also halt die Klappe, okay?«
Er wartete. Er musste mitgezählt haben, denn sobald ich fertig war, kam er von hinten auf mich zu und legte mir seine Arme um die Taille. Ich wich nicht zurück. Er lehnte seinen Kopf an meinen, sodass ich ihm in die Augen sehen konnte. Sein Blick war schwer definierbar.
»Du bist aufgeregt«, sagte ich.
Er lächelte. »Das ist doch logisch, oder?«
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich und küsste ihn.
Nach diesem ersten Kuss ging es leichter. Ich führte ihn in mein Schlafzimmer. Er begann, mich auszuziehen, dann fielen wir übereinander her, wobei ich die Führung übernahm und mich auszog.
Im Schlafzimmer war es dunkel, nur das Licht vom Wohnzimmer fiel herein. Trotzdem war ich mir der Narben deutlich bewusst. Er musste sie in der Dunkelheit ertastet haben, als er mit seinen Fingern über meine Haut fuhr. Doch er sagte nichts. Er musste sie mit seinem Mund, mit seiner Zunge gespürt haben, als er mich küsste. Aber er sagte kein Wort.
Am seltsamsten war jedoch, dass ich alles spürte, alles fühlte. Normalerweise fühle ich nichts, nur Unbehagen, Anspannung, Schmerz und ein Jucken. Meine Hautoberfläche ist ganz abgestumpft von den Narben, sie ist gefühllos geworden – offensichtlich sind das Nervenschäden. Doch als er mich berührte, fühlte ich alles. So als hätte ich eine neue Haut bekommen.
Dienstag, 25. Mai 2004
Gestern rief Jonathan mich auf dem Handy an; zum Glück war gerade niemand in meinem Büro. Es sollte eine Art Vorstellungsgespräch werden, doch mir wurde sofort klar, dass es reine Formsache war. Ich versuchte ihn mir vorzustellen, brachte Stimme und Gesicht jedoch nicht zusammen. Jedenfalls war ich aufgeregt, bemühte mich aber, mir nichts anhören zu lassen. Ich übertrieb ein wenig bei der Schilderung meiner Erfahrungen im Bereich Unternehmensberatung – aber egal, es funktionierte. Er wollte mich mit einem auf drei Monate befristeten Vertrag anstellen, um die Dinge erst mal ins Rollen zu bringen. Wenn es mir gefiel und er meine Arbeit schätzte, würde er ihn verlängern. Er buchte meine Flüge und mailte mir die Zeiten – die Tickets seien am Flughafen für mich hinterlegt.
Am Ende des Tages sprach ich bei meiner Chefin vor und überreichte ihr meine Kündigung. Meinen Resturlaub konnte ich anrechnen lassen, sodass ich nur noch rund zwei Wochen bleiben musste. Sie war nicht begeistert. Ich täuschte Bedauern vor, dass ihr so wenig Zeit blieb, eine neue Personalchefin zu finden, doch innerlich frohlockte ich.
Also machte ich heute einen meiner seltenen Ausflüge in die Öffentlichkeit. Obwohl ich mir auf der Post ein paar Dollar besorgen wollte, zögerte ich, direkt hinzufahren, weil Lee mich vielleicht beobachtete. Soweit ich wusste, arbeitete er irgendwo, was aber nicht hieß, dass er mich nicht ebenfalls
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