Wohin du auch fliehst - Thriller
natürlich.« Das war Lees Stimme, doch sein Akzent war anders – schottisch? Jedenfalls aus dem Norden.
War er es?
Während Caroline wie immer Lewis Pharma und die Expansion des Unternehmens erläuterte, beobachtete ich ihn fasziniert und verängstigt zugleich. Sein Haar war etwas dunkler und kürzer; er war blasser – nun, das passte –, und er war ein wenig gealtert. Um seine Augen hatten sich Fältchen gebildet, die er vorher nicht gehabt hatte. Aber das war ja nur logisch. Er sah Caroline aufmerksam an, nickte an den richtigen Stellen und sah aus, als hörte er ganz genau zu. Ich hatte ihn nie zuvor in so einem Anzug gesehen – er passte ihm nicht wirklich. Er sah aus, als habe er ihn sich geliehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Lee irgendetwas tragen würde, worin er nicht perfekt aussah. Außer er ermittelte verdeckt, dann trug er ohne zu zögern schmuddelige Klamotten, die stanken, als hätte er draußen gepennt.
Einen Moment lang zweifelte ich daran, dass er es war.
Das letzte Mal hatte ich ihn vor drei Jahren bei Gericht gesehen, als ich mir die Beweisaufnahme angehört hatte. Bei der Urteilsverkündung war ich nicht dabei gewesen. Drei Tage vor Prozessende hatte man mich zum zweiten Mal in die Psychiatrie eingeliefert. Während er eingebuchtet wurde, stand ich unter Beruhigungsmitteln und starrte überwiegend auf einen Fleck an der Wand.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie er damals ausgesehen hatte, und das war verwirrend. Ich hatte mich so bemüht, ihn auszublenden. In meinen Albträumen, selbst in den Momenten, in denen ich ihn auf der Straße oder im Supermarkt zu sehen glaubte, war er nicht mehr als ein Schatten ohne Gesicht gewesen.
War er es?
Caroline hatte ihren Vortrag fast beendet, gleich war ich an der Reihe.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich unwillkürlich tief und langsam zu atmen begonnen hatte. Bei jedem Atemzug beruhigte ich mich, bewältigte es, weil ich es musste. Ich versuchte, an das Ausmaß meiner Angst zu denken. Mindestens sechzig, vielleicht sogar siebzig Punkte. Ich durfte hier nicht zusammenbrechen. Ich brauchte diesen Job dringend – man hatte mir eine Chance gegeben, und die durfte ich nicht vergeigen. Ich wartete, dass die Angst nachließ. Es würde eine Weile dauern. Ich musste damit umgehen.
»Also«, sagte ich und merkte, dass ich eine Art Autopilot eingeschaltet hatte, »Mr Newell.«
Er sah mich an und lächelte. Diese Augen – sie waren irgendwie falsch. Sie waren zu dunkel. Er war es nicht, er konnte es gar nicht sein. Ich bildete mir das nur ein, so wie ich mir das immer eingebildet hatte, wenn ich ihn sonst gesehen hatte.
»Würden Sie uns bitte ein wenig über Ihre letzten Jobs erzählen und warum Sie gekündigt haben?«
Ich ertappte mich dabei, wie ich auf seine Worte lauschte, ohne sie richtig aufzunehmen. Carolines Stift kratzte auf dem Notizblock, und das war gut so, denn ich würde mich an kein Wort erinnern, das er sagte. Er erzählte irgendwas von einem Job auf dem Kontinent in den vergangenen zwei Jahren und von einer Bar in Spanien, wo er einem Freund ausgeholfen hatte. Wir konnten seine Referenzen natürlich überprüfen, doch falls es tatsächlich Lee war, konnte er so etwas mit Leichtigkeit fälschen.
Ich zitterte innerlich vor Angst, dem Mann gegenüberzusitzen, der mich geschlagen, vergewaltigt und fast umgebracht hatte. Ich hörte zu, wie er von seiner beruflichen Laufbahn und den verschiedenen Jobs erzählte, dass er bei der Armee gewesen sei – konnten wir das nachprüfen? Darüber musste es doch Aufzeichnungen geben, oder? Und wie er sagte, er hieße Mike Newell, sei in Northumberland – nicht in Cornwall – aufgewachsen, habe aber die meiste Zeit in Schottland gearbeitet. Lancaster erwähnte er nie, genauso wenig wie eine Verurteilung wegen Körperverletzung. Eine dreijährige Haftstrafe fand auch keinerlei Erwähnung.
Caroline übernahm wieder und bot ihm die Gelegenheit, selbst Fragen zu stellen.
»Ich frage mich, ob Ihr Kandidat irgendwelche besonderen Eigenschaften haben sollte, die ich heute nicht unter Beweis stellen konnte«, sagte er mit diesem seltsamen Akzent, den ich nicht einordnen konnte.
Caroline sah mich an und versuchte, sich ein belustigtes Lächeln zu verkneifen. »Cathy, würdest du das bitte beantworten?«
Das war die beste Frage, die mir jemals bei einem Vorstellungsgespräch gestellt worden war. »Natürlich«, sagte ich und versuchte, souverän zu klingen. »Es wäre natürlich wünschenswert,
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