Wohin du auch fliehst - Thriller
wenn Sie Erfahrung als Lagerist hätten, aber das ist nicht zwingend notwendig. Wir haben in den letzten Tagen mit einigen vielversprechenden Bewerbern gesprochen, bis morgen Mittag haben wir hoffentlich eine Entscheidung getroffen.«
Er lächelte mich an. Er hatte andere Zähne als Lee – weißer, gleichmäßiger? Ich sah ihn erneut an, er war wirklich ziemlich anders. Es lag nicht nur an seinen Augen. Auch an den Zähnen, den Haaren, seiner Statur: Er hatte auf jeden Fall weniger Muskeln als Lee, dessen Bizeps alles ausfüllte, was er trug. Alles an ihm war auf beunruhigende Weise irgendwie anders.
»Danke, dass Sie gekommen sind, Mr Newell«, sagte ich und gab ihm die Hand. Er hatte einen festen, warmen, aber nicht feuchten Händedruck – den Händedruck eines Menschen, den man gerne einstellte.
Caroline brachte ihn wieder nach unten und ließ mich allein, Meine Gedanken drehten sich im Kreis. War er es gewesen? Ich sah den Bewerbungsbogen noch einmal durch – eine ordentliche Handschrift, Großbuchstaben. Sie wirkte so gar nicht wie Lees Handschrift, aber er hätte leicht jemanden bitten können, das für ihn zu schreiben, Herrgott, das hatte nichts zu bedeuten! Er konnte Kontaktlinsen tragen. Vielleicht hatte er sich die Zähne machen lassen. Er hatte im Knast natürlich nicht viel Sport getrieben. Und die vergangenen zwei Jahre in Spanien? Dort hatte er bestimmt Freunde, die ihm jederzeit per Telefon eine Empfehlung gegeben hätten. Daraus würden wir auch nicht unbedingt schlauer. Allerdings war er nicht gerade braungebrannt.
Draußen vor der Tür hörte ich, wie Caroline einen neuen Bewerber zum Vorstellungsgespräch bat. Ich setzte ein schönes Willkommenslächeln auf. Meine Schläfen, der Ursprung aller Kopfschmerzen, begannen zu hämmern.
Sobald das Bewerbungsgespräch vorbei war, sagte ich Caroline, dass ich etwas trinken und eine Tablette einnehmen wollte. Nach dem letzten Bewerber machten wir eine Pause, danach kamen noch drei Gespräche, erst dann konnte ich nach Hause gehen.
Caroline hörte nicht auf, von Mike Newell zu reden.
»Er war mit Abstand der beste Bewerber, den wir heute hatten, findest du nicht? Auch wenn er noch nie als Lagerist gearbeitet hat. Er ist eindeutig intelligent und motiviert. Und dann diese Frage am Schluss – die merke ich mir für meine nächste Bewerbung. Du hast brillant geantwortet – ich hätte keine Antwort darauf gewusst. Ich weiß, das ist unprofessionell, aber sieht er nicht toll aus? Und er ist sehr charmant …«
»Ich komme gleich wieder, okay?«, war alles, was ich herausbrachte. Ich griff nach meiner Tasche auf dem Tisch und eilte zum Hinterausgang des Gebäudes.
Ich holte mein Handy heraus und den Zettel, auf dem die Nummern von DS Hollands standen.
Ihr Handy war aus, also versuchte ich es unter der anderen Nummer. »Abteilung Öffentliche Sicherheit, DC Lloyd, was kann ich für Sie tun?«
»Äh – hallo. Könnte ich mit Sam Hollands sprechen?«
»DS Hollands ist gerade in einem Meeting. Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Ja, ja, ich brauche unbedingt Hilfe.« Großer Gott, wie sollte ich das bloß alles in wenigen Sätzen erklären? Wie sollte ich jemandem erklären, dass es dringend war, ohne gleich völlig verrückt zu wirken?
»Hallo? Sind Sie in Gefahr?«
»Nein, ich glaube nicht.« Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Bitte!, dachte ich, seien Sie nicht nett zu mir, das ertrage ich nicht.
»Wie heißen Sie?«
»Cathy. Cathy Bailey. Ich wurde vor vier Jahren von einem Mann namens Lee Brightman angegriffen. Er hat drei Jahre dafür bekommen, aber ich habe erfahren, dass er an Weihnachten entlassen wurde. Im Norden, in Lancaster.«
»Okay«, sagte die Stimme.
»DS Hollands hat mir gesagt, dass er auf freiem Fuß ist. Ich glaube, ich habe ihn vor ein paar Tagen in London gesehen. Das habe ich DS Hollands auch schon erzählt, und sie hat Lancaster veranlasst, ihn zu überprüfen. Doch die haben gesagt, er sei immer noch dort.«
»Haben Sie ihn noch mal gesehen?«
»Ich bin Personalchefin und habe vermutlich gerade ein Bewerbungsgespräch mit ihm geführt.«
»Glauben Sie …«
»Er sah zwar anders aus, aber nicht sehr. Er hat sich als Mike Newell ausgegeben, sah dem Mann, den ich kenne, aber erstaunlich ähnlich – dieselbe Stimme, alles. Ich dachte, irgendwer in Lancaster könnte das vielleicht überprüfen, am besten sofort. Er ist nämlich erst vor einer halben Stunde hier weggegangen. Wenn er es tatsächlich
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