Wohin du auch fliehst - Thriller
zu schau en, war kaum etwas in meinem Gesicht zu sehen. Es hatte sich angefühlt, als hätte er mir den Wangenknochen gebrochen. Mein Kopf schmerzte, doch an der Hautoberfläche waren nur eine geringe Schwellung und eine kleine rote Stelle zu sehen. Ganz so, als hätte er mich gar nicht geschlagen.
Donnerstag, 31. Januar 2008
In Denmark Hill stieg ich aus dem Bus. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag das hell erleuchtete King’s College Hospital. Ein Krankenwagen mit Blaulicht und Sirene fuhr zur Notaufnahme am Seiteneingang. Ich stand am Fußgängerüberweg und starrte auf den Krankenwagen, bis mir auffiel, dass ein Autofahrer angehalten hatte, um mich über die Straße zu lassen. Ich eilte zum Maudsley Hospital, einem wunderschönen alten Gebäude auf der anderen Straßenseite, mit großen Säulen vor dem Eingang, die sich hell von dem roten Ziegelbau abhoben.
Ich blieb eine Weile stehen, sah es mir an und überlegte, wie es wohl vor hundert Jahren und mit weniger Verkehr ausgesehen haben mochte. Das letzte Mal, als ich ins Krankenhaus gekommen war, hatte ich in einem Krankenwagen zusammengekauert in der Ecke gesessen und war durch einen Hintereingang hineingeschleust worden. Damals hatte ich mir geschworen, nie wieder dorthin zurückzukehren oder irgendwem zu gestatten, mich so zu behandeln. Und nun stand ich hier, vor einer psychiatrischen Klinik, und war kurz davor, wie ein ganz normaler Mensch durch den Haupteingang zu marschieren. Wenn ich nur den Mut gehabt hätte, mich von der Stelle zu rühren!
»Suchst du wen?«
Es war Stuart. Er trug ein Hemd, das förmlich danach schrie, gebügelt zu werden, hatte die Ärmel bis zu den Ellenbogen hoch gekrempelt, und an seiner Brusttasche baumelte sein Krankenhausausweis.
»Ich hatte fast vergessen, wie du aussiehst«, sagte ich. Unsere letzte Begegnung war erst ein paar Tage her, aber aufgrund eines anderen Dienstplans und der Tatsache, dass auch ich arbeitete, fühlte es sich wie eine Ewigkeit an.
»Sollen wir reingehen?«, fragte er nach einer Weile.
Ich sah erst ihn an und blickte dann wieder zum Eingang. Dort liefen Leute hin und her.
»Ich weiß nicht so recht«, sagte ich.
»Wir können auch woanders hingehen, wenn du willst, ich habe nur nicht sehr viel Zeit«, sagte er freundlich.
Ich holte tief Luft. »Nein, gehen wir rein. Hauptsache, du sorgst dafür, dass man mich auch wieder rauslässt, einverstanden?«
Wir gingen durch den Haupteingang und dann durch einen endlos langen Gang, vorbei an Ärzten, Besuchern, Pharmavertretern und Krankenpflegern, bis wir plötzlich vor einem Res taurant standen. »Ich bringe dich an die schönsten Plätze, stimmt’s?«, sagte er.
»Ist schon in Ordnung, red keinen Unsinn.«
Ich setzte mich an einen freien Tisch, während er etwas zu essen und zu trinken holte. Ich sah zu, wie er in der Schlange stand. Große Menschenansammlungen machen mich stets nervös, aber hier war es noch schlimmer. Das Krankenhauspersonal war unschwer zu erkennen, alle anderen waren vermutlich Besucher, denn sie sahen zur schwarzen Menütafel hoch, auf der bis auf die Ofenkartoffel bereits alles durchgestrichen war, und diskutierten, ob sie die letzten Brötchen oder den vertrockneten Kuchen nehmen sollten. Vielleicht waren einige davon auch Patienten.
Drei Personen hinter Stuart stand ein Mann in der Schlange, der mir den Rücken zuwandte und mir Unbehagen bereitete. Er war mit anderen Leuten zusammen, lachte und redete mit einem Mädchen, doch irgendwas an ihm erinnerte mich an … War es das Lachen? Ich konnte es von hier aus hören. Ich konzentrierte mich auf Stuart, doch der Mann stand mir immer noch vor Augen. Noch dazu war er sehr muskulös und hatte breite Schultern. Mir wurde ein wenig übel.
Ich drehte mich auf dem Stuhl zur Wand, konzentrierte mich auf den weißen Anstrich und versuchte, an etwas anderes zu denken. Ich zählte bis sechs. Es ist alles in Ordnung, er ist es nicht.
»Käsesalat oder Schinken?« Stuart stellte das Tablett vor mir auf den Tisch, und ich zuckte zusammen.
»Käsesalat, bitte«, sagte ich. Er schob ihn mir hin und packte seinen Schinken aus.
»Lass uns am Wochenende ausgehen!«, schlug er vor. »Na, was sagst du? Am Samstag, denn da soll das Wetter gut sein. Am Sonntag habe ich ein Spiel, vorausgesetzt, die Schulter macht mit.«
Der Mann, der hinter Stuart in der Schlange gestanden hatte, ging gerade an uns vorbei. Im Vergleich zu dem Mann aus dem Café in Brighton sah dieser schon eher
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