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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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habe er auf ein Stichwort gewartet, er sei Rumäne, habe vier Jahre in Karlsruhe gearbeitet, seit drei Jahren sei er hier. Ja, er habe Frau und Kind,
erwidert er auf meine Frage. Mit einundzwanzig Jahren sei er Vater geworden. Seine neunjährige Tochter wachse bei den Großeltern in Rumänien auf. Warum? Hier gebe es andere Werte, er wolle, daß sein Kind mit denen seiner Heimat aufwachse, zudem, seine Frau und er seien von früh bis spät beschäftigt. Wenn das Mädchen groß sei, könne es selbst entscheiden, wo es leben wolle.
    Vom vielen Wein bin ich benommen, erst der doppelte Espresso macht meinen Kopf wieder etwas klar. Draußen Schwüle, unerträglich drückende Hitze. Die Via della Paglia, dann ein großer Platz, gnadenlos grell von Sonne überflutet. Mir fällt der bissige Heinrich Heine ein, der den Katholizismus eine gute Sommerreligion nannte, der vom gedämpften Licht und der wehenden Kühle der italienischen Dome sprach, von der Möglichkeit einer kühlen Andacht in ihnen, dem heiligen Dolce far niente .
    Die Kirche Santa Maria in Trastevere. Im Halbdunkel erkenne ich zwei junge Frauen, die sich zärtlich berühren. Geld klingelt im Kasten. Ein Mütterchen zündet eine Kerze an. Ein älterer Mann liegt laut schnarchend auf einer der hölzernen Bänke. Eine Frau mit einem bunten Mickymaus-Hemd sammelt Gebetbücher ein und legt sie neben dem Altar auf einen Tisch. Ein Mann weckt den Schnarchenden, ist es der Kirchendiener oder ein Freund? Ich sehe, wie der aus dem Schlaf Gerissene sich schwerfällig erhebt und mit müden Füßen zum Ausgang schlurft, bis zur Tür begleitet von dem anderen. Ich setze mich in die erste Reihe. Die Mosaiken in der Apsis, unter dem Himmelszelt thront
Christus mit einer in byzantinischer Formensprache stilisierten Maria im Arm. Zwei bettelnde Kinder stehen plötzlich vor mir, halten mir, wie bei einer Kollekte, einen kleinen Korb entgegen. Die Frau mit dem bunten Mickymaus-Hemd ist sofort da und weist sie schroff hinaus.
    Wieder draußen sehe ich, wie die beiden Jungen, höchstens vier oder fünf können sie sein, ihr Behältnis einem alten Mann hinstrecken. Der stellt seine Aktentasche ab, entnimmt ihr zwei Äpfel und schenkt sie den beiden. Der nächste, den sie anbetteln, gibt ihnen nichts, er hält sie fest und spricht ernst und lange mit ihnen. Beide – ihr Gesichtsausdruck ist ängstlich – schütteln mehrfach die Köpfe. Und plötzlich, sehe ich, reißen sie sich los und sind im Nu vom Platz verschwunden.
    Langsam laufe ich weiter. In den Gassen die fliegenden Händler, meist junge Schwarzhäutige, auf der Erde ihre Waren breitend, Sonnenbrillen, Schmuck, Poster mit kitschigen Blumenarrangements und – überraschend – bei fast allen das Porträt des bärtigen kubanischen Rebellen. Der Stadtplan in meiner Hand. Mein Ziel ist der Botanische Garten an der Villa Farnesina. Aber schon von weitem sehe ich; er ist gesperrt, weißrote Bänder zeigen es an. Giftige Pflanzenschutzmittel sind gesprüht worden, lese ich auf einem Schild.
     
    Am Abend eine Italienischstunde mit Fulio und Anna auf dem Monte Pincio. Danach Lektüre der »Reise nach Süden« von August von Goethe, gerade im Hanser Verlag erschienen. Bei heiterem Sonnenschein wird er am 29. Oktober 1830, vierzig Jahre jung, seitlich der
Pyramide des Cestius an der Porta San Paolo auf dem seit Beginn des 18. Jahrhunderts von den päpstlichen Behörden zur Bestattung von Nichtkatholiken freigegebenen Fremdenfriedhof zu Grabe getragen.
     
    19. Juli
    Mit der U-Bahn zur Station Piramide. Ist es die Aurelische Mauer, an der ich entlanggehe? Das Tor zum Cimitero acattolico degli stranieri ist verschlossen. Erst nach einer Zeit sehe ich weit oben die kleine Glocke, ich ziehe am eisernen Strang. Ein heller Klang, wieder dauert es Minuten, bis der Friedhofswärter erscheint. Er fragt mich streng, zu wem ich wolle. Ich sage es, und er öffnet die Pforte, erklärt mir den Weg.
    Ich bin völlig benommen, süße Düfte, Vogelgezwitscher, nie gesehene baumhohe Büsche mit üppigen lachsrosa Blüten, andere übervoll von zart lavendelblauen Dolden, wucherndes Grün; ein botanischer Garten. Augusts Grab. Goethe Filius/ Patri/ Antevertens/ Orbiit/ Annor XL / MDCCCXXX . Nicht einmal sein Vorname. Der Sohn dieses Vaters eben. Das schlichte von Bertel Thorwaldsen geschaffene Reliefmedaillon mit dem Porträt des Verstorbenen. Ich lege meine Rose auf das Grab. Wandere weiter, überall streunende Katzen, zwei von ihnen begleiten mich.

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