Wohin mit mir
Das Grab von Wilhelm Waiblinger, sechsundzwanzigjährig starb er in Rom. Ein Kindergrab, der Sohn von Caroline und Wilhelm von Humboldt. Das Grab von Antonio Gramsci. Von Keats, von Shelley. John Keats kam 1820 nach Rom, schon krank, ein Jahr später starb er, wie Waiblinger sechsundzwanzig Jahre alt. Here lies one whose
name was writ in water , steht auf seinem Stein. Percy Bysshe Shelley ertrank – er war dreißig – bei einer Segeltour vor La Spezia, Lord Byron verbrannte Leiche am Ufer des Sees, seine Asche wurde nach Rom gebracht.
Die Ewige Stadt nicht ein Ort der Wiedergeburt , wie sie es für Johann Wolfgang Goethe war, sondern einer des Todes. Das schreckliche Ende von Ingeborg Bachmann in Rom, ihre Verbrennungen, an denen sie starb. Siebenundvierzig Jahre war sie. Hier, auf dem Fremdenfriedhof, zwischen Keats und Shelley, wollte sie begraben werden.
Müde vom Umherwandern setze ich mich auf eine Bank. Drei der herumstreunenden Katzen machen es sich neben mir bequem. Der Friedhofswärter kommt, verjagt sie, nimmt Platz, bietet mir Bonbons an, fragt und erzählt. Von der Bank aus ist die Cestius-Pyramide zu sehen. Ein Denkmal des antiken Rom, sagt er, der Prätor Caius Cestius habe es zwischen 18 und 12 v. Chr. in Anlehnung an den Totenkult der Ägypter als Grabmal errichten lassen. Er schlägt ein kleines Heft auf, zeigt mir ein Bild, es sei von Goethe. Ich betrachte es, als ob ich es nicht kennen würde. Die lavierte Federzeichnung, das Nachtstück »Pyramide des Cestius im Vollmondlicht«. Goethe, erzählt er, habe hier begraben werden wollen. Nun, dann habe es den Sohn getroffen. Ob oft jemand zu seinem Grab komme? Er schüttelt den Kopf. Die drei Katzen sitzen längst wieder auf der Bank. Eine vierte hat sich ihnen zugesellt. Andere sonnen sich unweit von uns auf der Mauer, die den Friedhof begrenzt.
Am Abend nochmals auf August von Goethes Spuren. Die Kirche Santissima Trinità dei Monti. Hier hat er bei seiner Ankunft in Rom den Gesang der Nonnen gehört, vom göttlichen Gesang der Nonnen , lese ich. Das war ein Genuß, solche Stimmen habe ich noch nie gehört, das Ora pro nobis brachte einen bis zu Thränen. Die Kirche wird gerade geschlossen, eine dicke Nonne mit einem großen Schlüsselbund steht unten am Gitter, mit ausladenden Bewegungen und dem Ruf scendere treibt sie die Besucher an, sie eilen die Stufen hinab, und mit mürrischem Gesicht schließt sie das Gittertor. Fragen, wann wieder geöffnet werde, überhört sie.
20. Juli
Heute am Morgen in der kleinen Kirche Santa Maria del Popolo. In einer der Seitenkapellen zwei Gemälde, die mich fesseln. Eine scharfe, sichere Gegenwart in ihnen. Ein moderner Maler? Auf dem einen Bild in der vorderen, unteren Ebene ein junger Mann mit ausgebreiteten Armen rücklings auf der Erde liegend. Ein gleißendes Licht fällt auf ihn. Ihr Ursprung liegt außerhalb des Bildfeldes. Aber um einzig dieses Lichtes willen scheint das Bild gemalt. »Die Bekehrung des heiligen Paulus«, lese ich. Das in der Apostelgeschichte mehrfach beschriebene Bekehrungserlebnis vom Saulus zum Paulus, das, soweit ich mich erinnere, immer mit der Stimme des Herrn und einer Lichterscheinung verbunden ist. In den Darstellungen bei Raffael und Michelangelo ist sogar Christus zu sehen, umgeben von einer Lichtaureole. Das Licht, das auf den auf der
Erde liegenden jungen Mann fällt. Die gesamte obere Bildhälfte aber nimmt ein Pferd ein, das ein Knecht am Zügel führt. Dieses Pferd – sein starker Leib. Merkwürdig. Faszinierend.
Auf dem zweiten Gemälde ragt ein schweres Holzkreuz diagonal in den Bildraum hinein. Ein bärtiger alter Mann, bekleidet mit einem Lendenschurz, ist an Händen und Füßen daran genagelt; weit aufgerissene Augen, gerunzelte Stirn, leicht geöffnete Lippen. Er lebt noch, hebt den Kopf, scheint zu sprechen. Mit wem? Drei Schergen sind damit beschäftigt, das Kreuz aufzurichten. Die physische Anstrengung dieses Vorgangs beherrscht das Bild und ist für mich, die ich es betrachte, fast körperlich nachvollziehbar. Die konzentrierte mitleidlose Geschäftigkeit der Männer. Der links im Bildvordergrund Kniende sucht das schwer auf seinen Schultern lastende Kreuz zu stemmen, der nächste hat das Ende gefaßt, reißt es nach oben, der im Zentrum Stehende zieht, mit einem über den Rücken gelegten Seil, gleichfalls mit großer Kraftanstrengung an dem schweren Kreuz.
»Die Kreuzigung des heiligen Petrus«, lese ich und den Namen eines mir unbekannten
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