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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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ich doch hier bleiben, denke ich, als ich den Hörer auflege.
     
    Über die Via Piacenza zum Monte Cavallo hinauf. Wieder auf den Spuren von August von Goethe. In seinem Tagebuch unter dem Datum 17. 10. 1830: Dann noch nach Monte Cavallo, einen Augenblick ausgestiegen, die Collosse, meine Freunde und Lieblinge begrüßt. Eine Menschenmenge auf dem Platz. Militär
musik. Vor dem Palazzo del Quirinale, dem Sitz des Staatspräsidenten, findet eine Parade statt. Matrosen marschieren und salutieren. Ein Reiterregiment. Ich dränge mich nach vorn, um die Pferde zu sehen. Ausnahmslos stolze, schöne Tiere mit hohen Kruppen und schlanken Fesseln, die Reiter mit weißen Handschuhen, silbernen Helmen, von denen lange schwarze Büschel wehen. Die italienische Nationalhymne. Dann, offenbar als Schluß der theatralischen Zeremonie, der Triumphmarsch aus Giuseppe Verdis »Aida«. Nach dem Verklingen des letzten Akkordes Bewegung in der Menge, sie beginnt sich zu zerstreuen. Ich ziehe mich in den Schatten einer Toreinfahrt zurück. Das Trappeln der Pferdehufe noch eine Weile. Die Musiker steigen mit ihren Instrumenten in vorfahrende Busse. Ebenso die Matrosen. Innerhalb von zehn Minuten ist der Platz menschenleer. Ich kann die beiden Rossebändiger, die Dioskuren aus Marmor, begrüßen, über fünf Meter sind sie hoch, sie gehören zu den wenigen antiken Plastiken, die nicht verschüttet waren.
    Ich nehme den nächsten Weg, der sich mir bietet, und stehe mit einemmal vor Roms größtem Wasserschauspiel, der Fontana di Trevi. Gedränge, Blitzlichtgewitter, Schweißgeruch, Stimmengewirr. Touristen mit Eistüten, mit Rucksäcken, Wasserflaschen, ihre seltsame entstellende Aufmachung, dicke Frauen in Shorts, Männer in kurzen Hosen, auf den nackten Oberkörpern nur die Hosenträger, viele Japaner, alle mit Kameras und topfartigen Hüten.
    Der Brunnenrand ist dicht belagert, über die darauf Sitzenden werden in weitem Bogen Münzen in das Was
serbecken geworfen; wie ich sehe, immer in der gleichen Weise, mit der linken Hand über die rechte Schulter. Ich entsinne mich, im Reiseführer gelesen zu haben, es soll die Rückkehr nach Rom sichern. Der Brunnen ist seit Federico Fellinis »La Dolce Vita« mit Anita Ekberg und Marcello Mastroianni ein Kultort.
    Der steinerne Gott Oceanus auf seinem von Seepferden und Tritonen gezogenen Wagen zeigt sich von allem unbeeindruckt.
     
    Dann zum Pantheon, 27 vor Christus ist es erbaut. Der einzig vollständig erhaltene Kuppelbau der Antike. Ich umrunde ihn zweimal von außen, dann durch die säulengeschmückte Vorhalle, den Pronaos, ins Innere. Wunderbare Maßverhältnisse. Im Zenit des Rundtempels eine kreisförmige Lichtöffnung. Obgleich das Pantheon voller Besucher ist, bin ich allein. Harmonie. Wodurch kommt sie zustande? Der riesige Durchmesser der Kuppel, er beträgt 43,2 Meter, und dem entspricht genau die Gesamthöhe des Rundtempels. Ist es das?
    Auf dem Rückweg komme ich zur Piazza Montecitorio, sehe die Herder-Buchhandlung. Ich trete ein, eine Frau meines Alters kommt auf mich zu. Sie sind …, sagt sie und nennt meinen Namen. Jetzt werden die üblichen Fragen kommen, denke ich, denn das Goethe-Buch liegt im Schaufenster. Aber überraschenderweise spricht sie überhaupt nicht davon, sondern über ihre Lektüre von »Ich bin nicht Ottilie«. Sie ist in Thüringen geboren, mit dreizehn Jahren mit ihren Eltern in den Westen geflohen, nach Heilbronn gegangen, seit vielen Jahren lebt sie in Rom, ihr Mann, ein Schweizer
Architekt, ist verstorben. Seither leitet sie die Buchhandlung. Wir sitzen in ihrem kleinen, nur mit Stellwänden umgebenen Büro. Reden. Schnell sind wir uns nah.
    Nach Fulio und Anna, nach Baschal ein dritter Anker im endlosen Meer der Ewigen Stadt.
     
    22. Juli
    Telefonat mit Nordschweden, mit Roknäs. Daß du die Wiese abgebrannt hast, war gut, sagt der Sohn. Er habe sie gerade gemäht. Mit der Sense? Ja. Ein scharfer Sehnsuchtsschmerz durchfährt mich. Ich sehe die an die Wand vor meiner Kammer gelehnten Gerätschaften: Spaten, Rechen, Heugabel, Sense. Und das Kind, frage ich. Der Sohn erzählt von Noahs Fortschritten, genau hundertundsieben Tage ist er auf der Welt. Und mit einemmal weiß ich, wann das Gespenst des Altwerdens, des Alters erstmals vor mir auftauchte. Die Geburt des Kindeskindes, die Generationsfolge, ich bin die nächste, die abzutreten hat. An einem Frühlingstag 1999 war es, zum ersten Mal fuhr ich Noah aus. Mit Schwiegertochter und Sohn war ich ins

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