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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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Juli
    In Santa Maria del Popolo. Es hat mir keine Ruhe gelassen. Wer ist dieser Caravaggio? Goethe, der doch für längere Zeit in unmittelbarer Nähe der Gemälde lebte, erwähnt seinen Namen nicht. (Auch die Kirche kommt bei ihm nicht vor, obgleich das angrenzende Kloster der Aufenthaltsort Martin Luthers bei seinem Rom-Besuch 1511 war. Und diese Gemeinde Goethe als Möller in ihren Einwohnerlisten führte.) Auch
Winckelmann mißt Caravaggio keine Bedeutung zu. Michelangelo Merisi, geboren im Dorf Caravaggio in der Nähe von Bergamo, kommt 1591 oder 1592 zwanzig- oder einundzwanzigjährig in die Ewige Stadt. Er erlebt ein Rom, in dem die Kuppel des Petersdoms gerade vollendet wird, in dem man auf dem Campo de'Fiori Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen verbrennt. In der Kunstszene herrscht der Manierismus vor. Man gefällt sich darin, Michelangelo und Raffael zu kopieren. Wie findet dieser Merisi aus der Nähe von Bergamo zu seinem schockierenden Realismus, wie dazu, alle ikonografischen Traditionen über den Haufen zu werfen, wie zu seiner völlig neuen Bildsprache, der erregenden Lichtregie in seinen Gemälden? Der geheimnisvollste und revolutionärste Maler der Kunstgeschichte soll der über dreihundert Jahre Vergessene sein; Rembrandt, Velázquez, überhaupt die Moderne nicht ohne ihn denkbar.
    Für Cerasi, den Schatzmeister des Papstes, hat er die beiden Bilder in Santa Maria del Popolo gemalt. Der starke Leib des Pferdes, der auf der Erde in der Lichtaureole liegende vom Saulus zum Paulus Gewandelte. Mir scheint, als ob die Augen beider sich treffen, es einen Blickkontakt zwischen Tier und Mensch gibt. Überliefert ist ein Dialog zwischen dem Maler und einem Prälaten des Klosters. Aufgebracht soll der gefragt haben: Warum hast du das Pferd in die Mitte und den heiligen Paulus auf die Erde plaziert? – Darum! habe der Maler geantwortet. Der Prälat: Soll dieses Pferd Gott sein? Caravaggio: Nein, aber es steht im Licht Gottes.
    »Die Kreuzigung des heiligen Petrus«. Die historia sacra in ihrer schockierenden Profanität. Die radikale Reduzierung der Bilderzählung. Es sind die ihn umstehenden Anhänger des Märtyrers, zu denen Petrus, von Agrippa zum Kreuztod verurteilt, spricht. Aber auf Caravaggios Gemälde sind sie ausgeblendet. Seine Konzentration auf die Täter, die Kreuzaufrichter. Der Farbklang von Rot, Gelb und Grün, der den Schergen zugeordnet ist. Am rechten Bildrand entdecke ich das Blau eines Tuches. Der abgelegte Mantel des Petrus? Das heilige Blau. Daneben ein Felsbrocken, eine Anspielung auf das Christus-Wort in Matthäus 16,18: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.
     
    29. Juli
    Halb sieben am Morgen. Es läutet seit fünf Minuten. In der Sprechanlage die Auskunft: Polizei. Vom Balkon sehe ich, fünf Männer sitzen unten vor der Tür, die Tür steht offen. Die Männer tragen keine Uniform, kein Polizeiauto ist zu sehen. Ich reagiere nicht, jeder kann sich als Polizei ausgeben. Dennoch bin ich unruhig. Das Läuten hört auf. Gegen halb acht wieder Klingeln, aber nur einmal und sanft. Ich sehe durch den Spion, es ist die Putzfrau. Ich entsichere die Alarmanlage. Lasse sie ein. Sie entschuldigt sich, sie sei eine halbe Stunde zu spät.
     
    30. Juli
    Tiefer Nachtschlaf. Der kleine Raum zum Innenhof mein Refugium. Schreibglück. Ein Text über die Geschichte des Hauses Storsöder 13 in Roknäs.
     
    Als ich am Mittag ins Büro komme, lehnt ein kleines Brillengestell, die Hände verkrampft in den Hosentaschen, im Türrahmen: Es ist die neue Praktikantin. Sie studiert Germanistik in Bonn, kommt gerade aus Verona, wo sie ihr viertes Semester abgeschlossen hat. Sie spricht ausgezeichnet Italienisch.
    Am Nachmittag zeige ich ihr die Geschäfte, in denen sie einkaufen kann. Wir überqueren den Corso, gehen durch die Via del Vantaggio, biegen rechts in die Via di Ripetta ein, etwa nach fünfzig Metern auf der rechten Seite der Brotladen, Pane e formaggio. Daneben die kleine Trattoria. Ich zeige ihr die schöne Weinhandlung und den Fleischer- und Delikatessenladen an der Ecke. Und dann auf der anderen Seite des Corso in der Via di Gesù e Maria das Lebensmittelgeschäft, das immer überfüllt ist, in dem man stets lange anstehen muß. Ihre Frage nach einer Kaufhalle, einem Supermarkt. Nein, im weiten Umkreis gibt es nichts dergleichen, man ist auf die sehr teuren kleinen Läden in der historischen Altstadt angewiesen.
     
    31. Juli
    Die Nacht wieder in meinem Lärmkäfig.

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