Wohin mit mir
es geht auf den Hof hinaus, man blickt ins Grüne, auf Palmen mit bis zur Erde hängenden Wedeln und auf Bananenbäume mit riesigen Blättern.
Am nächsten Abend mache ich – alle Mitarbeiter sind gegangen – das Zimmer sauber und schlafe dort. Das Klappbett ist zwar nur ein Behelf, aber die Ruhe ist himmlisch. Tief und traumlos schlafe ich. Es ist Sonnabend, heute kommt keine Putzfrau. Die Casa di Goethe öffnet um zehn Uhr. Vor halb zehn werden Mas
similiano und Domenico nicht da sein. Als ich Schritte auf der Treppe höre, entschwinde ich samt meinem Bettzeug in mein Zimmer.
Ausgeschlafen bin ich ein anderer Mensch.
Ein glücklicher Tag. Im Park der Villa Borghese sammeln ein Mann und eine Frau Pinienkerne. Der Mann zeigt mir, wie man sie aufmacht. Als die beiden gehen, schenken sie mir eine Rose.
Die kopflose Frau mit den schönen Gewandfalten. Immer, welchen Weg ich auch nehme, gehe ich bei ihr vorbei und begrüße sie. Heute sind hinter der hohen Mauer, vor der sie steht, Stimmen zu hören und Tellerklappern, feiner Rauch steigt auf, es riecht nach gebratenem Fleisch. Ich entdecke einen Feigenbaum, dessen Zweige weit über das Gemäuer reichen. Aber die Früchte hängen zu hoch.
Sonnenuntergang auf dem Monte Pincio. Fulio und Anna sind nicht da.
25. Juli
Pünktlich bin ich im Kloster Trinità dei Monti. Schweißtreibende Nachmittagshitze. Mein Kleid klebt am Körper. Dann die Erlösung, ich tauche in ein üppiges, kühles Grün ein. Nichts vom Autolärm der unten nur wenige Meter von der Mauer entfernt vorbeiführenden Viale della Trinità della Monti ist zu hören. Kein Geruch nach Benzin und Abgasen gelangt bis hierher. Schattenspendende Bäume. Stille. Efeuüberwucherte Mauern, Steingefäße mit bizarren Pflanzen und immer wieder Gebüsche von Arkantus mit den fünffingrigen auffälligen Blättern. Eine Brunnenschale, in die Wasser
rieselt. Niemand ist im Garten. Ich glaube mich im Paradies.
Viel zu schnell vergeht die Zeit. Dann die Andacht der Nonnen, die ich heute miterleben darf. Baschal läßt mich in das den Klosterfrauen vorbehaltene Refugium ein. Dahinter, abgeteilt durch ein Gitter, der Raum für die Touristen. Gemurmel und Schlurfen von Füßen ist zu hören. Dann wird es still, offenbar hat man die Kirchentür für die Zeit der Gebetsstunde geschlossen. Das hohe Schiff, zwei Emporen, der barocke Altar. Durch eine kleine Tür links vom Altar kommen einzeln und in Abständen die Nonnen herein. Ich erkenne die Korpulente, die die Besucher die Treppen hinuntertrieb. Baschal hat mir erzählt, daß sie die warmherzigste und lustigste sei. Zwei Frauen ohne Tracht, vielleicht die Pflegerinnen der Hundertjährigen. Sie setzen sich nebeneinander. Die anderen nehmen weit voneinander Platz. Als scheinbar alle da sind – ich zähle siebzehn –, steht eine der Nonnen auf. Ist es die Äbtissin? Für einen Moment sehe ich ihr Gesicht, es ist von tiefen Falten, Gräben voller Bitternis durchzogen. Sie geht nach vorn und öffnet ein auf einem Pult liegendes Buch. Jetzt wird sie lesen, denke ich. Aber sie geht zurück. Als ihre Schritte verhallt sind – Stille. Vollkommene Stille. Die Nonnen sitzen mit gesenkten Köpfen, ohne jede Bewegung, vertieft in ihre Andacht. Nichts geschieht. Was habe ich erwartet? Mir ist kalt, mein dünnes Kleid, ich habe schon gefroren, als die Nonnen hereinkamen, ich bewege vorsichtig Arme und Beine, reibe sie aneinander, bewege die Füße, sehe wiederholt verstohlen auf meine kleine Taschenuhr. Der Zeiger
will nicht rücken. An-dacht; das Wort erschließt sich mir körperlich. Genau nach einer dreiviertel Stunde erhebt sich die Nonne, die vielleicht die Äbtissin ist, geht zum Pult, schlägt das Buch zu. Geht zurück. Wieder eine mir endlos scheinende Pause. Dann endlich setzt karg, ohne Begleitung der Orgel, das Ora pro nobis ein. Einzig der schöne Alt der korpulenten Nonne schwebt über dem Gesang, der ein ansonsten dünner, mitunter stockender müder Altfrauengesang ist; keineswegs der göttliche der Nonnen , der August von Goethe zu Thränen brachte .
26. Juli
Wieder im kleinen Zimmer geschlafen. Bei offenem Fenster. Tagsüber und auch am Abend darin gearbeitet. An einem winzigen Ausziehtisch, die Füße auf einer grünen Plasteschüssel. Die ersten Seiten zum Lappland-Buch. Ich könnte vor Glück auf dem Kopf laufen. Der Schein des Vollmondes liegt auf den Bäumen im Innenhof und taucht sie in ein schwarzgrünes leuchtendes Licht. Ich bin bei mir.
28.
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