Wohin mit mir
Kunstkenntnisse, meine kleinen Talente müssen hier ganz durchgearbeitet, ganz reif werden, sonst bring' ich wieder euch einen halben Freund zurück und das Sehnen, Bemühen, Krabbeln und Schleichen geht von neuem an. Seine Bitte nach Weimar: drum gönnt mir meine Zeit, die ich so wunderbar und sonderbar zubringe, gönnt mir sie durch den Beifall eurer Liebe. Eine fast flehentliche Bitte.
… wunderbar und sonderbar … Spielt er damit auf
die Großzügigkeit seines Fürsten an? Ohne jegliche finanzielle Not kann er in Rom leben. Sein Ministergehalt wird ihm weiter gezahlt. Die Herzogliche Kammer gewährt ihm zudem einen Reisezuschuß, der sich auf fast 1700 Taler beläuft. Weiterhin steht ihm der Erlös aus dem Werkvertrag mit dem Leipziger Verleger Göschen zur Verfügung. Oder bezieht sich dieses … wunderbar und sonderbar … auch auf über ihn in Weimar kursierende, offenbar bösartige Urteile, die er den Briefen seines Dieners Philipp Seidel entnehmen kann? Am 8. Dezember 1787 verteidigt Goethe sich: Die gute Meinung, die man zu meinem Gehirne in W. hat, hoffe er zu widerlegen … und das Publikum zu überzeugen, daß ich noch bey Sinnen bin. Schon ein Jahr zuvor, am 25. Dezember, hieß es: Und wie sonst für ›krank‹ und ›borniert‹ gehalten zu werden geziemt mir weniger als jemals. Der Favorit des Herzogs hat viele Neider. Schiller, der gerade – nicht nur mittellos, sondern hochverschuldet – in Weimar angekommen ist, scheint sich zu deren Sprecher zu machen: Während er in Italien mahlt, müssen die Vogts und Schmidts für ihn wie die Lasttiere schwitzen. Er verzehrt in Italien für nichtsthun eine Besoldung von 18 000 thal. und sie müssen für die Hälfte des Geldes doppelt Lassten tragen . (1800 Taler muß es heißen, im Eifer verzehnfacht Schiller das Gehalt des späteren Freundes.)
Das nichtsthun . Rom als Ort, sich durch die Vollendung seiner Werke wieder als Lebendig zu legitimiren. Als erstes kommt »Iphigenie« zum Abschluß. Dann arbeitet er an »Egmont«. Am 1. August berichtet er Carl
August: Den ganzen Tag fleißig und still wegen der Hitze. Zehn Tage später: Egmont ist fertig und wird zu Ende dieses Monats abgehen können. (Am 22. September hat er die ersten Bände seiner Werkausgabe in der Hand; diese vier zarten Bändchen, die Resultate eines halben Lebens … ) Am 3. November notiert er: Nun liegen noch so zwei Steine vor mir: Faust und Tasso.
Neben der literarischen Arbeit ist die Ausbildung seines eigenen kleinen Zeichentalentchen in Rom sein vornehmlichstes Ziel. Meine erste Angelegenheit ist und bleibt: daß ich es im Zeichnen zu einem gewissen Grade bringe … In Neapel nimmt er Unterricht bei Philipp Hackert, in Rom besucht er einen Kurs bei dem Maler Verschaffelt: Besonders hab' ich in der Perspektiv mansches gelernt. Er ist besessen von der Idee, es als Maler zu etwas zu bringen. Während seiner Rom-Zeit liegen Dichtung und Bildende Kunst in gleicher Höhe auf der Waagschale. Noch im Januar 1788 heißt es: Das Studium des menschlichen Körpers hat mich nun ganz. Erst unmittelbar am Ende seines Aufenthaltes neigt sich die Schale. Zur bildenden Kunst bin ich zu alt , notiert er am 1. Februar. Am 22. dann die Erkenntnis: daß ich eigentlich zum Dichter geboren bin, und daß ich die nächsten zehen Jahre … dieses Talent exkolieren und noch etwas Gutes machen sollte … Von meinem längeren Aufenthalt in Rom werde ich den Vortheil haben, daß ich auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht tue.
Mittagshitze. Die Sonne steht im Zenit. Ich verspüre Hunger, verlasse mein Lager unter der alten Platane. Schlendere zur Gaststätte in der nahegelegenen »Galleria Nazionale d'Arte Moderna«. Auf der Terrasse treffe ich überraschend Andreas, wir finden einen Platz, sitzen lange unter einem großen Schirm im Schatten; essen, reden, stoßen auf den Jubilar an. Einen einzigen seiner Geburtstage, den achtunddreißigsten hat Goethe in Rom erlebt. Andreas blättert, liest: Den 28. August 1787… heute zum Feste kam mir Herders Büchlein (Johann Gottfried Herders 1787 erschienenes Werk »Gott. Einige Gespräche«) voll würdiger Gottesgedanken. Es war mir tröstlich und erquicklich sie in diesem Babel, der Mutter so vieles Betrugs und Irrtums, so rein und schön zu lesen … Wir amüsieren uns, dies ist eines der wenigen abwertenden Urteile über die Ewige Stadt, vielleicht dem strengen Herder geschuldet, dem Arcivescovo di Turingia , dem Erzbischof von Thüringen, wie
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