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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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über ihr hängenden Wolken in ein eintöniges Graubraun getaucht, kein Baum, kein Strauch. Ich bin in Lappland, augenblicks geht mir das Herz auf. Dann aber, in den Ebenen, überraschend aus dem Nichts auftauchend, endlose Haine mit Apfelsinenbäumen, übervoll von Früchten.
     
    Drei Stunden Aufenthalt in Catania. Ich werde erwartet. Eine Freundin der Leiterin des Goethe-Institutes, eine junge Künstlerin, zeigt mir die Stadt. Atmet sie auf, als ich auf ihre Vorschläge entgegne, ich möchte weder die Gräber Friedrichs II . und Friedrichs III . in der Cappella della Madonna noch das von Friedrich II . errichtete, am Meer gelegene Staufferkastell sehen. Einfach schlendern wäre mir am liebsten. Wir laufen die Via Vittorio Emanuele II . entlang, den Ätna immer im Blick. Den 3323 Meter hohen Berg, den Berg der Berge, den Mongibello , wie ihn die Einheimischen in einer lateinisch-arabischen Wortschöpfung nennen. Und Catania, sagt sie, heiße die schwarze Tochter des Ätna . Seit der Antike wurde die Stadt siebenmal durch Erdbeben und Vulkanausbrüche völlig zerstört. 1669 der letzte verheerende Lavastrom, 1693 ein Erdbeben. Danach dann, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, der Wiederaufbau Catanias im barocken Stil, größtenteils aus dunklem Lavagestein. Wir stehen auf der Piazza del Duomo, am Brunnen mit dem Elefanten, der einen ägyptischen Obelisken trägt. Da ich auch auf den Anblick des Grabes von Vincenzo Bellini, des berühmtesten Sohns der Stadt, verzichte, lädt mich die junge Frau zu einem Tee in ihre Wohnung ein. Hohe dunkle
Zimmer, kostbare alte Möbel. Für einige Minuten verläßt ihr Mann sein Arbeitszimmer, setzt sich zu uns. Ich spüre die Spannung zwischen den beiden, sie scheint nicht glücklich mit ihm. Mehrfach fällt er ihr ins Wort, korrigiert sie wegen Lappalien. Nennt sie Kind, Kindchen .
    Dann am Busbahnhof. Das erleuchtete Schild Siracusa . Die Sorge der jungen Frau, daß ich dort in der Dunkelheit ankomme. Warnung zur Vorsicht. Und, als habe sie meine Gedanken erraten, sagt sie, ihr Mann sei im Moment sehr nervös, er arbeite zu viel.
     
    Fahrt die Ostküste entlang nach Süden. Zweieinhalb Stunden bis Syrakus. Späte Ankunft. Auf dem Weg vom Busbahnhof zum Hotel, das in der Altstadt, auf der Insel Ortigia, liegt, treffe ich keinen einzigen Menschen, nur freilaufende streunende Hunde sind unterwegs. Ein nachttrunkener Portier. Ich öffne das Fenster im Zimmer. Das Anschlagen des Meeres gegen eine Mauer ist zu hören. Das Meer selbst ist nicht zu sehen. Schwarze finstere Nacht.
     
    8. Dezember
    In Syrakus erwacht. Das habe ich mir ausgedacht. Am 7. Dezember wollte ich den südlichsten Punkt meiner Reise erreichen. Am 7. Juni war ich am nördlichsten, in Narvik. Dort ging die Sonne nicht unter, noch um Mitternacht stand sie am Himmel, und auf den Bergen lag Schnee, die Leute fuhren Ski. Jetzt, im Dezember, ist es in Sizilien sommerlich warm, es sind fast zwanzig Grad. Syrakus. Schon als Kind faszinierte mich das
Wort. Ich erinnere mich, wie ich es buchstabierte: Sy – ra – kus. Auf einem Buchdeckel, der auf dem Nachttisch meines Vaters lag, las ich es. Johann Gottfried Seume, »Der Spaziergang nach Syrakus«, das Lieblingsbuch meines Vaters. Nie ist er, der Reisebegierige, nach Syrakus gekommen. Erst machte der Krieg seine Pläne zunichte. Dann die Mauer. Und als sie fiel, war er sechsundachtzig Jahre alt.
     
    Nach dem Frühstück mache ich zunächst einen kleinen Gang über die Insel Ortigia. Ziellos lasse ich mich treiben. Das starke südliche Licht, ich meine die Nähe zum afrikanischen Kontinent zu spüren. Das Ionische Meer. Die Farbkaskaden der Häuser an der Ufermauer. Dann enge Gassen; dunkle Schattenfelder, Stellen, in die das gleißende Morgenlicht wie ein Stein fällt. Und überall der Duft nach frischem Brot, obgleich ich nirgends einen Bäckerladen entdecken kann. Schon habe ich die Insel durchquert. Ich laufe durch andere Gassen zurück, auch hier der verführerische Geruch und das Spiel von Licht und Schatten.
    Ich komme an ein Gebäude mit der Aufschrift »Galleria Regionale di Palazzo Bellomo«. Ich zögere, soll ich eintreten? Ich tue es, bezahle, laufe ein wenig lustlos durch die Säle, viele Historienbilder. Mit einemmal halte ich Schritt und Atem an.
    Ich stehe vor einem Gemälde, es muß ein Caravaggio sein. Ein Raum von düsterer Verlassenheit, steil aufragende, in dunklen Farbtönen gehaltene riesige Wände, die die gesamte obere Bildhälfte einnehmen. In diesem

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