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Wohin sind wir unterwegs

Wohin sind wir unterwegs

Titel: Wohin sind wir unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zum Gedenken an Christa Wolf
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Port und berauscht von jenem Gratismut, der offenbar als Topfpflanze besonders gut in Redaktionsstuben gedeiht, warf man der Autorin vor, zu feige gewesen zu sein, ihre Erzählung gleich nach der Niederschrift veröffentlicht zu haben. Das »hätte«,so behauptete Ulrich Greiner, »sicherlich das Ende der Staatsdichterin Christa Wolf und vermutlich ihre Emigration zur Folge gehabt«. Großzügig wußte er aus geschütztem Winkel heraus zu berichten: »Sie hätte ja leicht Unterkunft im Westen finden können.« Und Frank Schirrmacher unterstellte der Autorin sogar im Plural: »Jedermann erkennt: Dies sind die Sätze des Jahres 1989, nicht des Jahres 1979.« Nicht zur Kenntnis genommen wurde, daß die danach geschriebene Erzählung »Sommerstück« auch erst ein Jahrzehnt nach ihrem Entstehen veröffentlicht wurde.
    Welch Ausmaß heuchlerischer Entrüstung aus den Federn von Journalisten, die keiner staatlichen Zensur ausgesetzt waren und die dennoch beflissen und opportunistisch den Zeitgeist bedienten.
    Angeführt von großmächtigen Zeitungen wurde die Pressekampagne des Jahres 1990 fortgesetzt. Immer wieder lebte sie auf und findet ihr Echo sogar in einigen Nachrufen auf Christa Wolf. Besonders hat der auf ihr literarisches Werk und auf das vieler Autoren der Nachkriegsliteratur gemünzte Begriff »Gesinnungsästhetik« bis heutzutage all jene Kleingeister beflügelt, die die Literatur und deren Produzenten in eine Immobilie namens Elfenbeinturm sperren wollen. Bald danach kam die personenbezogene Ableitung »Gutmensch« in Umlauf. Nachträglich wurde sie Heinrich Böll als Ausdruck des marktgängigen Zynismus angehängt. Vergeblich ist wohl die Erwartung, es könnten sich die Wortführer der Kampagne von einst spätestens jetzt nach Christa Wolfs Tod nachlesbar entschuldigen, und sei es auch nur, indem sie die verletzende Wirkung ihrer Infamie erkennen. Doch offenbar fehlt jener Mut zum Selbstzweifel, den Christa Wolf lebenslang, ich meine, im Übermaß bewiesen hat.
    1990! Warum verharre ich im Morast des Veröffentlichungsjahres der Erzählung »Was bleibt«? Damals begann unsere Freundschaft. Wir sahen uns häufig, schrieben einander Briefe. Sosehr Christa um Haltung bemüht war, erkennbar blieb dennoch, wie sehr sie unter den jüngsten Verletzungen litt. Was ihr im eigenen, trotz allem geliebten Land von Staats wegen zugefügt worden war, wurde nun in ähnlicher Praxis fortgesetzt, sozusagen gesamtdeutsch und hinterm Schutzschild »Meinungsfreiheit«: Verleumdungen, verfälschte Zitate, der immer wieder versuchte Rufmord. Als Schande wird auch das bleiben. So schäbig ging es im Jahr der deutschen Einheit zu.
    Vor allem aber bleibt uns die Vielzahl ihrer Bücher. Sie ist es gewesen, die während einer Zeit, in der sich Ost und West waffenstarrend und ideologisch verhärtet gegenüberstanden, grenzüberschreitende, die Grenzen überwindende Bücher geschrieben hat, die von Dauer sind. Die großen, gleichnishaften Romane, der leibhaftige Bericht über Krankheit und Schmerz. Und sie, Christa Wolf, ist es gewesen, die nach dem atomaren GAU von Tschernobyl das Buch»Störfall« geschrieben hat, in dem sie den Wiederholungsfall Fukushima erahnte und uns alle im Sog eines katastrophalen Gefälles sah, an dessen Ende auch unsere auf Hoffnung gründende Frage »Was bleibt« keinen Konjunktiv mehr erlauben, vielmehr nichtig sein wird.

GERHARD WOLF
    Ich danke allen Freunden, die heute abend hier gesprochen haben. Ich lese aus dem Schluß von Christa Wolfs Buch »Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud«. Die Erzählerin befindet sich in der Stadt Las Vegas.
    »Ich war plötzlich so müde, daß ich kaum mein Zimmer fand. Ehe ich einschlief, versuchte ich mit Angelina in Kontakt zu kommen, aber natürlich folgte mir kein Engel an diesen Ort. Du hast also gelogen, sagte ich, als du versprachst, du würdest immer da sein, wenn ich dich brauche. Auch Engel lügen. Das hatte etwas Tröstliches. Etwas vollkommen Vollkommenes hätte ich schwer ertragen.
    Draußen war es taghell von der elektrischen Lichterflut, aufgeregte Leute schrien auf der Straße. Ich mußte noch einmal aufstehen und die schweren Vorhänge vorziehen. In der Minibar fand ich ein Fläschchen Sekt, das trank ich aus. Dann mußte ich Berlin anrufen.
    Ist was passiert, rief eine aufgeregte Stimme. – Nein, nichts. Das ist es ja. – Sag mal, bist du beschwipst? – Das auch. Aber vor allem will ich dich was fragen. – Frag. – Ist dir eigentlich klar,

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