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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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Mannes, das zweite Mal wegen weiblicher Akte.
    Klimt wurde in diesen Jahren von einer kleinen Schar privater Gönner finanziert, die sein Werk bewunderten und denen der prickelnde Reiz gefiel, den das Kontroversielle mit sich brachte. Das Interesse an Klimt war so groß, dass die ihm 1898 gewidmete Nummer von
Ver Sacrum
sich doppelt so gut verkaufte wie sonst. Die Nachfrage nach seinem eher geringen Output von bloß fünf bis sechs Gemälden pro Jahr erlaubte es Klimt auch, seine Preise Anfang der 1900er Jahre beträchtlich zu erhöhen, was ihn zum teuersten zeitgenössischen Künstler Wiens machte. Für ein lebensgroßes Porträt verlangte er 10.000 Kronen, ungefähr 76.000 Euro nach heutiger Währung.
    Moriz und Hermine wussten, dass Klimts Porträts das einzige Genre seiner Kunst war, das allgemeinen Beifall fand. Ein Faktor dabei war seine ungewöhnliche Fähigkeit, Materialien, Texturen, Haare, Haut wiederzugeben. Dazu kam seine Mischung aus Realismus und Idealismus, und so lobte man seine Bilder denn auch als »wirklichkeitsgetreu, doch beinahe unwirklich«. Sie sollten ihre Sujets »am Höhepunkt ihres Lebens« darstellen, auch wenn ein Wiener Kritiker die 36-jährige Rose von Rosthorn-Friedmann, die Klimt 1901 malte, als »nicht mehr in der ersten Jugend« bezeichnete und Alma Mahler sie privat als »alte Scharteke« abtat.
    Wer der Secession nahestand, wie es bei Moriz und Hermine der Fall war, der wusste auch von Klimts Frauengeschichten; etliche der porträtierten Damen hatten wahrscheinlich Affären mit ihm. Durch den Klatsch in der Secession erfuhren die Mäzene, dass Klimt mit seinen Modellen einige Kinder hatte, sie fanden vielleicht sogar heraus, dass ihm 1899 binnen eines Monats von zwei Müttern Kinder geboren worden waren. Sie zerbrachen sich den Kopf, ob die Modeschöpferin Emilie Flöge bloß seine Seelenfreundin, zumindest kurzzeitig seine Geliebte gewesen oder ob sie seine ständige Mätresse war. Sie wussten vermutlich von Klimts Versuch, Alma Schindler zu verführen. Sie hörten, dass Klimt mit Rose von Rosthorn-Friedmann ein Verhältnis hatte, während er sie malte, was Alma zu dem Diktum bewog: »Er nimmt wo er findet«, scheinbar ein Ausdruck der Verachtung für Klimt – außer dass Alma genau dasselbe über den Theaterdirektor und Dramatiker Max Burckhard schrieb und hinzufügte: »Hätte ichs nur auch gethan!«
    Klimts Reputation, ein schwieriger Auftragnehmer zu sein, eilte ihm voraus, als Moriz und Hermine beschlossen, ihre ganze Familie malen zu lassen. Sie wussten, dass er sich weigerte, Männer zu porträtieren, und es war ihnen klar, dass er beträchtliche Vorschüsse verlangte, seine Arbeit aber immerhin pünktlich fertigstellte. Sie erkannten, dass er, ganz wie es seinem hochentwickelten Selbstgefühl als künstlerisches Genie entsprach, das sich den Beschränkungen der gewöhnlichen Gesellschaftsordnung nicht zu unterwerfen habe, nie zugab, es sei ein Glück, auf einer solchen Basis zu arbeiten, sondern sogar seine wichtigsten Gönner so behandelte, als müssten sie froh sein, wenn er sie malte.
    Hermines Aussehen mag ein Thema gewesen sein. Einige Jahre später soll sich Klimt angeblich geweigert haben, eine andere Wiener Matrone, Marianne Löw-Beer, zu malen, da sie dicklich war, sehr verschieden von seinem Ideal weiblicher Schönheit. Da Hermine in der Zeit, als die Gallias sich an Klimt wandten, zusehends rundlicher wurde, hätte er sie vielleicht lieber nicht porträtiert. Doch Anfang der 1900er Jahre war ihm klar, dass er nicht so wählerisch sein konnte; damals malte er die 36-jährige Rose von Rosthorn-Friedmann und die fünfzigjährige Marie Henneberg. Und er hatte keine Wahl, da die Gallias Mäzene der Secession waren. Er brauchte zwar nicht sofort anzufangen, doch er musste Hermine malen.
    In der Wartezeit beschlossen Moriz und sie, Bilder der restlichen Familie in Auftrag zu geben, angefangen bei Moriz – eine relativ ungewöhnliche Entscheidung im Wien der Jahrhundertwende, wo die Ehemänner von Klimts Modellen meist unporträtiert blieben. Da kein Wiener Künstler für seine Männerbildnisse berühmt war, erwogen Moriz und Hermine wahrscheinlich verschiedene Möglichkeiten. Eine war Carl Moll, ein enger Freund der Gallias, der eben erst ein Bild seiner eigenen Familie fertiggestellt hatte. Eine andere war Max Kurzweil, den Moriz ebenfalls kannte, da sie beide Juden aus der kleinen mährischen Stadt Bisenz waren. Moriz und Hermine entschieden sich dann für

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