Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
wie das Bild 1903 genau ausgesehen hat, und das nicht nur, weil Klimt später an Hermines Haar, Hals und Schultern leichte Änderungen vornahm. Der englische Kunsthistoriker Frank Whitford hat die Ansicht vertreten, dass das Bildnis wie so viele andere Klimts mit den Jahren an Leuchtkraft verloren habe. Es ist sicher sehr verschieden von dem Bild, das ich als Kind in Sydney kannte. Ich erinnere mich, wie fasziniert ich von den Farbklümpchen war, aus denen Klimt Hermines Goldbrosche mit dem Solitärdiamanten gebildet hatte. Die Farbe war so dick aufgetragen, dass die Brosche beinahe dreidimensional wirkte und erhaben aus der Leinwand ragte. Diese Farbe ist nun verschwunden.
Die Ausstellung in jenem November war etwas Besonderes; es war die einzige Personale, die Klimt jemals veranstaltete. Die »Klimt-Kollektive« war doppelt spannend, da sie keinen Gesamtüberblick über das Werk des 43-jährigen Künstlers beabsichtigte, sondern sich auf die sechs Jahre seit der Gründung der Secession beschränkte, die Zeit, in der seine Arbeiten am innovativsten gewesen waren. Das Interesse an der Ausstellung war umso größer, als es zehn neue Gemälde zu sehen gab, eine bemerkenswerte Anzahl für Klimt, der 1903 außergewöhnlich produktiv gewesen war; die Aussicht darauf, die Räume der Secession füllen zu müssen, sowie die Gelegenheit, eine Ausstellung ganz für sich allein zu haben, hatten ihn angestachelt. Hauptattraktion war das letzte der riesigen Fakultätsbilder für die Universität Wien, »Jurisprudenz«. Da »Philosophie« und »Medizin« bereits heftige Kontroversen hervorgerufen hatten, hofften viele, bei der »Jurisprudenz« würde es ebenso sein. Die
Neue Freie Presse
erwartete, »Jurisprudenz« würde die »Sensation des Tages« bilden und einen »Krieg der Meinungen« darüber entfesseln, ob das Bild »ein Meisterwerk sei oder ein Schund«.
Der Satiriker Karl Kraus kam dieser Erwartung in der
Fackel
nach. Klimts Werk hatte er bereits als Domäne des »goût juif«, des jüdischen Geschmacks, charakterisiert und einen allgemeinen Zusammenhang zwischen »moderner Malerei und geldstolzem Hebräerthum« hergestellt; nun kritisierte er Klimt scharf dafür, die Jurisprudenz auf ein barbarisches Rachesystem reduziert zu haben, wo es nur um »Derwischen und Abkrageln« gehe. Um den Maler als Scharlatan zu entlarven, behauptete Kraus, betrunkene Studenten, die man wegen der Beleidigung von Polizisten verurteilt habe, könnten nur neidisch darauf sein, wie man Klimt gemalte Beleidigungen nachsehe. Sonst aber war das Echo vorwiegend positiv. In der Presse gab es zwar eine ausführliche Debatte über die »Jurisprudenz«, doch es kam zu keinem Meinungskrieg.
Klimts sonstige neue Gemälde erregten in der Folge weit mehr Aufmerksamkeit. Drei davon waren Porträts: von Hermine, Emilie Flöge und Gertrud Loew, deren Vater Anton das exklusivste Sanatorium von Wien besaß. Die anderen sechs waren Landschaften, die fortschrittlichsten Werke Klimts, die ihn ab 1897 zunehmend beschäftigten und bald beinahe die Hälfte seiner Gemälde ausmachten. Er begann sie normalerweise im Freien, vollendete sie aber oft im Atelier. Das Format war immer quadratisch und wurde rasch zunehmend größer. Die Bildkomposition war mindestens so erfinderisch wie bei den figuralen Gemälden, die Ausführung oft noch subtiler. Anders als bei den Porträts arbeitete er hier nicht nach Auftrag.
Hermines Porträt mit zwei von Kolo Mosers kubischen Sesseln in der Klimt-Kollektive der Secession. 1903.
Die Ausstellungsgestaltung durch Josef Hoffmann und Koloman Moser, die eben erst zusammen mit dem Fabrikanten Fritz Wärndorfer die Wiener Werkstätte gegründet hatten, trug zur Sensation bei. Hoffmann hatte den kleinen, luxuriösen Vorraum gestaltet, Moser mit nie dagewesener Schlichtheit die neun Räume, in denen Klimts Werke ausgestellt waren. Die Wände waren weiß bis auf einen dünnen grau-goldenen Streifen, den Moser als Decken- und Bodenfries und als Umrahmung der Türen einsetzte. Abgesehen von ein paar verstreut stehenden neuen Würfelsesseln mit gerader Lehne, quadratischen Seiten und Sitzflächen, die auffallendsten Wiener Beispiele von geometrischen Möbeln, waren die Räume leer. Statt zwei oder drei Bilder übereinander zu hängen, waren sie linear angeordnet, mit viel Raum dazwischen, sehr zum Entzücken der einzigen berühmten Wiener Kunstkritikerin Berta Zuckerkandl, die Mosers Umgebungsgestaltung als »so leise und diskret wie
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