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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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verschränkten Händen, das Gesicht direkt dem Betrachter zugewandt oder im Profil, manchmal nach links, manchmal nach rechts, bevor er sich für eine Pose entschied, die anders war als bei seinen sonstigen Porträts, was ihr Bildnis zu etwas Besonderem machte: Er ließ sie leicht schräg stehen, das nach oben gerichtete Gesicht zum Betrachter, die Hände verschränkt.
    Wie viele Gesellschaftsmaler gab Klimt immer die äußere Erscheinung seiner Modelle vorteilhafter wieder, und so ist die Differenz zwischen seinen Porträts und Fotografien dieser Frauen oft beträchtlich. Als Klimt Hermine malte, kaschierte er ihre Korpulenz und bildete sie weit glamouröser und anmutiger ab als jeder zeitgenössische Fotograf. Doch eine über ein Jahrzehnt später aufgenommene Fotografie zeigt eine Hermine, die ziemlich so aussieht, wie Klimt sie gemalt hatte, die Frisur war dieselbe, das Gesicht im gleichen Winkel geneigt. Diese Ähnlichkeit mag das Ergebnis davon sein, dass sie sich dem Porträt annähern wollte und dass es ihr ausnahmsweise gelang. Vielleicht tat der Fotograf auch alles, um Klimt nachzueifern. Wie immer die Erklärung auch sein mag, auf diesem Foto sieht Hermine viel sinnlicher und schöner aus als auf dem Klimt-Gemälde. Üblicherweise erwartete man in Wien von einem Porträtisten, dass er Ähnlichkeit schuf und einen Charakter erfasste; das Wesen des Modells sollte durch sein oder ihr Äußeres zum Vorschein kommen. Das geschah vor allem mittels des Gesichts, das man als Fenster zur Seele betrachtete. Doch Klimt arbeitete meist in der völlig andersartigen Tradition des Aristokratenporträts, wie es von Malern des 17. Jahrhunderts, etwa Anthonis van Dyck, entwickelt worden war; sie rückten ihre Sujets eher vom Betrachter ab, als sie dem forschenden Blick auszusetzen. Ganz nach dieser Herangehensweise zeigte Klimt die Porträtierten in sich versunken, ins Weite blickend, mehr oder minder ausdruckslos.
    Bedeutete das, dass Klimt wenig oder nichts von seinen Modellen preisgab? Der Romancier, Dramatiker und Essayist Hermann Bahr war dieser Ansicht. Trotz seiner Hochachtung vor Klimt meinte er: »Er malt eine Frau, als wär’s ein Kleinod, sie glitzert bloß, aber der Ring an ihrer Hand scheint atmend und ihr Hut lebt mehr, als sie selbst ...« Franz Servaes, Kunstkritiker der
Neuen Freien Presse
, war anderer Meinung. Weil er unter anderem auch annahm, die Modelle würden selbst entscheiden, wie sie auf den Bildern erschienen, betrachtete Servaes ihre Kleidung, ihren Schmuck und sogar ihre Posen als ebenso ausdrucksvoll wie ihr Wesen. Servaes schrieb Klimt auch ein tiefes Verständnis für die Beziehung zwischen Äußerem und Innerem zu, er sei ungewöhnlich gewandt darin, die Seele seiner Modelle durch die Darstellung ihrer Seidenkleider zum Vorschein kommen zu lassen.
    Das Bildnis Hermines stellt dieses Argument auf die Probe. Die National Gallery in London vertritt die Ansicht, das Bildnis verrate »Klimts Faszination vom Faltenwurf, der das bestimmende Element in dem Gemälde ist. Das Gesicht und die Persönlichkeit der Dargestellten interessierten ihn weniger als die geschmeidigen Rhythmen der Kleidung.« Doch diese Einschätzung lässt außer Acht, dass hier – so wie in vielen Klimt-Porträts – die Darstellung Hermines auf dem Kontrast zwischen der stilisierten Abstraktion ihrer Kleidung und dem relativ naturalistisch dargestellten Gesicht beruht. Bei allem Interesse an Rüschen, Mustern und Falten, der Textur und Durchsichtigkeit von Hermines Kleid, es ist ihr nachdenkliches, ja melancholisches Gesicht, das unsere Aufmerksamkeit fesselt.
    Das Setting war äußerst ungewöhnlich. Klimt bildete seine Sujets meist in ausgesprochen vagen Interieurs ab, wo Boden, Wände und Sessel keine feste Form besitzen. Der Raum, in den er Hermine plazierte, war der am deutlichsten ausgeführte und aktuellste, den er je gemalt hatte. Er zeigte sie auf einem Teppich mit geometrischem Muster stehend, so modern wie ihr Kleid, im Stil den ersten von Josef Hoffmann entworfenen sehr ähnlich. Er stammte möglicherweise aus Klimts Atelier im achten Bezirk, da Hermine und Moriz damals nichts Derartiges besaßen.

Gustav Klimt, Hermine Gallia. 1903/04. 2
    Das Porträt beschäftigte Klimt im Jahr 1903 mit Unterbrechungen monatelang. Als er es im November in der Secession ausstellte, bezeichnete er es als unvollendet. Ein dort aufgenommenes Foto zeigt, dass man es leicht für fertig hätte halten können. Doch es bleibt unklar,

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