Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
Quäkern, aber unter den Mitgliedern waren auch Protestanten, die unbedingt den Neuankömmlingen helfen wollten. Als die
Nieuw Zeeland
am 6. Jänner unter der Hafenbrücke in Sydney durchfuhr, warteten Mitglieder des Komitees in Walsh Bay, um Gretl, Käthe und Annelore in Empfang zu nehmen.
Unter ihnen war Mrs. Nellie Ryan, die Frau eines Beamten aus Sydney, mit Zwillingstöchtern, die ein wenig jünger waren als Annelore. 1939 war sie etlichen Wiener Flüchtlingsfamilien behilflich, sie lud sie zum Abendessen ein, ging mit ihnen aus, half ihnen, Schulen für ihre Kinder zu finden, und begleitete diese am ersten Schultag. Als sie hörte, dass Gretl, Käthe und Annelore in der Catholic Women’s Association bleiben wollten, lud sie sie ein, ihr erstes australisches Wochenende in ihrem Haus am North Shore zu verbringen, wo sie Gästezimmer hatte. Laut Gretl sah Mrs. Ryan sich selber ganz privat etwas Gutes tun, indem sie »drei hilflosen Damen ohne Freunde« zur Seite stand.
Andere Flüchtlinge, denen Mrs. Ryan half, fanden sie schrecklich englisch, vielleicht nur, weil sie die erste britische Australierin war, mit der sie näheren Umgang hatten. Gretl, Käthe und Annelore lernten an diesem Wochenende mit den Ryans nicht nur das australische Vorstadtleben kennen, sondern wohnten auch zum ersten Mal in einem bloß einstöckigen Einfamilienhaus. Ein von Gretl einige Jahre später geschriebener Brief berichtet, wie schwierig Käthe, Anne und sie es fanden, in einem fremden Land im Haus von Fremden Gast zu sein. Gretl wäre »fast gestorben«, weil die Ryans, strikte Presbyterianer, in ihrem Haus das Rauchen nicht erlaubten. Doch ihr war auch klar, welches Glück sie hatten, dass »dear Mrs. Ryan« und ihre »ehrenwerte« Familie sich um sie kümmerten.
Wie die meisten Flüchtlinge, die nur mit ihrem Reisegepäck ankamen, mieteten Gretl, Käthe und Annelore einstweilen eine möblierte Wohnung, bis ihre Container eintrafen. Das German Emergency Fellowship Committee hatte im innerstädtischen Bezirk Kings Cross eine gefunden, sie war aber so schmuddelig und schlecht eingerichtet, dass Gretl und Käthe sie ablehnten. Eine, die sie im benachbarten Darlinghurst selber auftrieben, war nicht viel besser. Aber sie mussten nicht lange bleiben, da ihre Container bereits in Italien waren und nur noch darauf warteten, dass Gretl und Käthe den Weitertransport per Frachtschiff genehmigten. Sechs Wochen danach waren ihre Besitztümer in Sydney, und sie konnten sich den Ryans erkenntlich zeigen, indem sie ihnen das größte ihrer eben erst eingetroffenen Silbertabletts schenkten.
Da die 500 Pfund, die sie mitgebracht hatten, ein Viertel von dem waren, was ein gewöhnliches Haus in den östlichen Vororten von Sydney gekostet hätte, nahmen sie wieder eine Mietwohnung. Das Problem war, dass die meisten Wohnungen in Sydney kleiner waren als die von Gretl in Wien, und dazu kamen auch noch Käthes Möbel. Ihre neue Wohnung in Rose Bay hatte zwar eine Garage, die als Abstellraum verwendbar war, aber alles konnten sie trotzdem nicht behalten. Viele andere Flüchtlinge, die zur selben Zeit mit riesigen Containern, aber wenig Geld eintrafen, verkauften ihre besten Möbel und schufen damit ein kurzfristiges Überangebot auf dem lokalen Markt. Gretl und Käthe hätten es ebenso machen können, aber ihre Hoffmann-Einrichtung war schon in Wien nicht besonders gefragt gewesen und nun in Sydney noch weniger wert, wo man mit österreichischem Design wenig anfangen konnte. Stattdessen verkauften sie Gretls Steinway-Flügel, eines ihrer wenigen Besitztümer, das seinen Wert quer durch die Hemisphären behalten hatte und zudem noch am schwersten in die Wohnung im dritten Stock zu schaffen war.
Als Käthe drei Jahre später eine Anstellung am North Shore erhielt und sie deshalb nach Cremorne zogen, wo sie keine Garage mehr hatten, trennten sie sich wieder von einigen Besitztümern. Die kriegsbedingten Einschränkungen bedeuteten, dass der Markt besonders schwächelte; so verkauften sie ihren Hoffmann-Schreibtisch, zwei Hoffmann-Armsessel und drei Hoffmann-Luster, dazu noch die gesamte Flora-Danica-Garnitur. Da sie immer noch wenig Geld hatten, packten sie vieles selber ein und aus. Alles aber konnten sie nicht selber erledigen, dazu hatten sie noch zu viele Sachen. Ein weiterer Hinweis darauf, wie viel sie aus Österreich hatten mitnehmen können: Sechs Möbelpacker arbeiteten für sie einen Tag, drei den nächsten und noch zwei die nächsten zwei Tage
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