Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
sich die
Remo
der Westküste Australiens, und Annes Angst war immer noch akut. »Das Schiff ist noch 4–5 Tage von Fremantle entfernt aber man weiß nicht wann Musso losgeht«, schrieb sie. »Italien wird immer schwieriger – und Tante Mizzi ist 3–4 Tage von Fremantle entfernt.« Und am 3. Juni hieß es: »Wenn nur Tante Mizzi schon da wäre.«
Zwei Tage später landete Mizzi in Fremantle. Laut ihrem Einreiseformular hatte sie weniger als vierzig Pfund bei sich – ein Fünftel von dem, was Erni, Gretl und Käthe pro Person gehabt hatten. Einige Flüchtlinge führten bei der Landung die Namen »Israel« und »Sara« an, weil sie im Pass standen, Mizzi aber nicht. Wie viele Flüchtlinge fragte sie sich wahrscheinlich, was sie hinschreiben sollte, als man sie nach ihrer Rasse fragte. Einige, darunter Gretl, Käthe, Annelore und Erni, unterwarfen sich der Politik des »weißen Australien« und gaben »weiß« an. Andere bezeichneten sich auf unterschiedliche Weise als Juden: Eine beschrieb sich als »deutsche Jüdin«, eine andere als »hebräisch (weiß)«. Mizzi schrieb »Jude«, der Einwanderungsbeamte machte daraus »Jew«.
Die
Remo
war das letzte italienische Schiff, das Australien erreichte, bevor Mussolini am 10. Juni den Krieg erklärte. Australische Zollbeamte verzögerten die Abfahrt, da sie die Mannschaft aufforderten, die gesamte Ladung zu löschen, und so lag sie am 10. immer noch im Hafen, und die Regierung konnte sie als Kriegsbeute beschlagnahmen. Mizzi und Anna hätten ein anderes Schiff besteigen können, doch unternahmen sie eine weit bemerkenswertere Reise, und zwar mit der Trans-Australian Railway quer durch den Kontinent, darunter auf der längsten geraden Eisenbahnstrecke der Welt, 478 Kilometer durch die kaum besiedelte, beinahe baumlose Nullarbor Plain mit ihrer roten Erde. Als sie Melbourne erreichten, warteten dort Fini und Erni, der eben nach Tasmanien gezogen war. Dass er trotz der kriegsbedingten Reisebeschränkungen am Bahnhof stand, war ein Anzeichen dafür, dass er Mizzi nun mit anderen Augen sah. In Österreich war er alles andere als ein idealer Ehemann gewesen, in Australien wurde er es allmählich.
Das aufschlussreichste Dokument, das Bruce nach Mizzis Tod fand, war eine Liste, die sie zusammengestellt hatte, während Erni sich im November 1938 auf die Abreise aus Wien vorbereitete. Die meisten Dokumente, die Flüchtlinge benötigten, wurden von den Nazis verlangt, doch diese »Besitzerklärung über persönliche und Haushaltsgegenstände« wollte die australische Regierung haben; damit wurden die Zollgebühren berechnet, die sie für das Mitgebrachte zu entrichten hatten. Obwohl Mizzi keine näheren Angaben darüber machte, wer ihre Sachen entworfen oder hergestellt hatte, gibt es kaum ein besseres Dokument darüber, was vermögende Flüchtlinge nach dem »Anschluss« mitzunehmen beabsichtigten.
Ihre Liste von 215 Haushaltsgegenständen begann mit sechzehn Tischen und 24 Stühlen, fünf Bücherschränken, vier Schränken, zwei Anrichten, zwei Kommoden, zwei Sofas, zwei Betten, einem Diwan und einem Bücherständer. Zum Geschirr gehörten ein 277-teiliges blumenverziertes Service, eine 154-teilige blau-weiße Garnitur, ein 150-teiliges Silberbesteck, eine Garnitur mit 110 Gläsern, ein hundertteiliges Set aus »deutschem Silber« (eine Legierung aus Nickel, Kupfer und Zink) und 31 Fayence-Stücke. Auch mit Leinen waren sie üppig versehen, darunter 264 Servietten, 172 Geschirrtücher, 83 Kopfkissenbezüge und 42 Tischdecken – Mizzi beschäftigte nur einmal pro Monat eine Wäscherin. Dazu kamen dreizehn Kopfkissenbezüge, elf Deckenbezüge und zehn Leintücher für Bedienstete, ein Hinweis darauf, welches Leben sie geführt hatten und weiterhin zu führen hofften.
Auch der Inhalt ihrer zwei Vitrinen – »128 Modeartikel« – musste mit, ebenso alle Sachen aus der Küche, darunter zwei Kaffeemaschinen (eine für Espresso, eine für Türkischen), ein Fleischwolf, eine mechanische Reibe und eine Kaffeemühle. Es gab auch 28 gerahmte Gemälde – an erster Stelle der Klimtsche Buchenwald, der den Nazis viel besser gefiel als die Porträts seiner jüdischen Modelle, erkennbar an der Bewertung von Ferdinand Bloch-Bauers Sammlung 1939 durch die Zentralstelle für Denkmalschutz. Die Stelle zeigte kein Interesse an seinen Klimt-Porträts, verweigerte aber die Ausfuhrgenehmigung für zwei seiner Landschaften, darunter seinen »Birkenwald«. Da aber Erni seine Ausreise 1938
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