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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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organisiert hatte, als sich die Zentralstelle für Denkmalschutz nicht um Klimts Werke gekümmert hatte, war ihm die Genehmigung erteilt worden.
    Die anderen Gegenstände reichten von einem Radio und Grammofon bis zu Opern- und Ferngläsern, Besen und Bürsten, Bügeleisen und Bügelbrett, Thermometern, Klingeln und Werkzeugen. Fünf Pfeifen waren dabei, Erni war ein starker Raucher. Und eine Reitgerte, die er wahrscheinlich von Moriz geerbt hatte, einem begeisterten Reiter, bis er seinen Gräf & Stift gekauft hatte. Dazu noch zwei von Ernis Pelzmänteln, aber nur einer von Mizzi (sie muss beschlossen haben, die anderen zu behalten, da sie in Wien blieb). Zur Kleidung, die sie am Land trugen, gehörten Ernis Lederhosen und zwei Dirndl von Mizzi; in Salzburg durften Juden das schon direkt nach dem »Anschluss« nicht mehr tragen. Der einzige religiöse Gegenstand war eine Menora aus dem Besitz Mizzis – möglicherweise das einzige jüdische Objekt, das die Gallias zur Zeit der Annexion besaßen.
    Das Inventar endete mit einer Liste von Ausrüstungsgegenständen, die Erni kurz vor seiner Abreise gekauft hatte, so wie Käthe Laborgeräte. Der Grund war, weil sie damit Geld, das sie nicht mitnehmen durften, in Besitztümer verwandeln konnten, die, so hofften sie, ihrem Leben in Australien eine Wendung geben würden. Käthe konnte auf ihren Qualifikationen und ihrer Erfahrung als Chemikerin aufbauen, Erni aber wollte nicht mehr in der Warenproduktion tätig sein. Er kaufte alles Nötige für ein Fotostudio, darunter zwei Großformatkameras mit Stativ und Plattenhalter, eine Garnitur Dekorationsstoffe aus Seide, Musselin und Tuch, Entwicklerschalen, Kisten, Vergrößerer und Abtropfgestelle für die Dunkelkammer. Als man ihn nach der Ankunft in Melbourne nach seiner zukünftigen Beschäftigung fragte, antwortete er: »Gewerblicher Fotograf.«
    Die Standard-Liftvans oder Überseeboxen, die in Deutschland und Österreich verwendet wurden, waren groß genug, um am Ankunftsort als Garagen, Notschlafstellen oder Wochenendhäuschen herzuhalten. Die Sachen, die Erni und Mizzi mitnahmen, füllten zwei solcher Behälter, dazu noch sechs große Kisten. Als die Nazis Anna Jacobi die Ausreise gestatteten, füllten ihre Besitztümer zwei weitere Liftvans und zwei Kisten, obwohl Deutschland sich in der Zwischenzeit mit Australien im Krieg befand.
    Während Gretl, Käthe und Annelore sofort nach ihrer Ankunft in Australien ihre Container per Schiff nachsenden ließen, tat Erni das nicht, da er allein in Pensionen wohnte und keine Aussicht auf eine Mietwohnung hatte. Als Mizzi und Anna Jacobi Mitte 1940 in Australien eintrafen, war es zu spät. Ihre Container befanden sich noch in Triest, als Mussolini den Krieg erklärte. Und 1943 waren sie immer noch dort; damals ließ Mussolini sie im Zuge der Enteignung des Besitzes von Männern und Frauen jüdischer Abstammung beschlagnahmen. Sie blieben dort bis 1944, dann übernahmen sie die Nazis und ließen sie nach Deutschland transportieren, um sie nicht den alliierten Truppen, die durch Italien nach Norden vorstießen, in die Hände fallen zu lassen. Das war alles, was Erni, Mizzi und Anna nach dem Krieg herausfinden konnten. Die Spur der Dokumente verlor sich hier.
    Das übliche Problem von Flüchtlingen, die ihre Besitztümer verloren haben, besteht darin, dass es keine Stelle gibt, an die sie sich um Ersatz wenden, keine Institutionen, die sie verklagen können. Aber sogar wenn es ihnen möglich ist, eine Forderung anzumelden, hindert sie meist die Verpflichtung, einen Nachweis zu erbringen, bedeuten doch die Umstände ihrer Flucht, dass sie nicht belegen können, was sie besessen haben, ganz zu schweigen von dessen Wert. Erni, Mizzi und Anna hatten mit diesen Problemen beinahe ein Jahrzehnt lang zu tun, nachdem ihre Sendung verschwunden war. Sie hatten herausgefunden, dass sie bei der italienischen Regierung eine Forderung einbringen könnten, da diese die Verpflichtung übernommen hatte, Ausländern Entschädigung zu zahlen, deren Eigentum in Italien als Folge des Krieges verlorengegangen oder beschädigt worden war. Als sich Erni Ende 1953 an die australische Regierung um Hilfe wandte, riet man ihm, ein »Inventar aller Gegenstände in den Liftvans mit Beschreibung und Wertangabe« vorzulegen. Man warnte ihn auch, dass die »italienischen Behörden einen ausführlichen Nachweis der Besitzrechte, des Werts und des Verlusts verlangen würden; in Ihrem eigenen Interesse sollten Sie daher

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