Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
die genaueste Information liefern, die Ihnen möglich ist«.
Erni hatte bloß ein wesentliches Dokument – das Inventar, das Mizzi für den australischen Zoll vorbereitet hatte – und ein Album mit Fotos ihrer Wiener Wohnung. In seinem Antrag musste er detaillierte Beschreibungen von Objekten liefern, die er seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hatte, und deren Wert schätzen. Als er seine Forderung Anfang 1954 einbrachte, unterstrich er, dass alle angeführten Zahlen weit unter dem Wert des als Ersatz Angeschafften lagen. Er erklärte auch, wie schwierig es gewesen war, in Australien Schätzungen zu erhalten, da die meisten der Gegenstände nie dort zum Verkauf gelangt waren. Er bot an, Fotos beizubringen, um seine Ansprüche zu unterstreichen. Die Gesamtforderung betrug 6526 Pfund.
Die italienische Regierung wies zunächst seine Beweise für das, was mit seiner Ladung geschehen war, zurück. Erni hatte maschinengeschriebene Kopien der Dokumente beigelegt, die bei seinen Frächtern in Triest lagen; die italienische Regierung verlangte die Originale. Als Erni die Frächter um die Herausgabe ersuchte, lehnten diese das »entsprechend einem Erlass des Verbandes italienischer Schiffsagenten« ab; dies »würde sie für jeden Schaden, der durch den Verlust solcher Dokumente entstünde, haftbar« machen. Als die Agenten Fotokopien zur Verfügung stellten, war es bereits Anfang 1955, was Erni zu der Bemerkung veranlasste: »Dem Ton Ihres Briefes nach scheint es, als würde die italienische Regierung italienische Firmen nicht eben dazu anhalten, in solchen Fällen besonders entgegenkommend zu sein.«
Als Italien schließlich Mitte 1955 zu einer Entscheidung gekommen war, wurden alle Schätzungen Ernis ignoriert. Stattdessen entschied die Regierung, »das einzige objektive Kriterium«, um den Wert der Ladung festzusetzen, sei das Gewicht, es betrug 7095 Kilogramm. Die nächste Annahme lautete, jedes Kilogramm sei tausend Lire wert, also betrug der Gesamtwert der Ladung 7.095.000 Lire oder 5067 Pfund. Dann wurde noch ein Abzug von einem Drittel in Rechnung gestellt, sodass Erni und Mizzi ein Betrag von 3378 Pfund zustand, kaum mehr als die Hälfte dessen, was Erni verlangt hatte.
Australische Beamte gaben zu, diese Vorgangsweise sei »etwas willkürlich«, meinten aber, »es sei schwierig festzustellen, auf welcher Basis die australische Gesandtschaft in Rom die italienische Regierung ersuchen könnte, das Angebot zu überdenken«, außer wenn Erni neue Beweise vorlegen könne, »um die Menge und den Wert der diversen Artikel« nachzuweisen. Das konnte er natürlich nicht, wie er Ende 1955 noch einmal hervorhob: »Es ist mir unmöglich, neue Beweise betreffend den Wert meines Besitzes vorzulegen. Er bestand, außer der fotografischen Ausrüstung, aus Haushaltsgegenständen, Kunstgegenständen etc., die über einen Zeitraum von beinahe zwei Jahrzehnten erworben wurden. Einiges wurde mir von meinen Eltern hinterlassen. Die noch vorhandenen Rechnungen etc. waren im Schreibtisch, der in einem der Liftvans verpackt ist. Die Bilder, Teppiche, das Porzellan und Silber etc. wurden bei Auktionen und Kunsthändlern in Österreich, England, Frankreich, Dänemark, Italien und Deutschland erworben. Ich bezweifle, dass sie mir helfen könnten, auch wenn ich es versuchen würde. Die Firma Wiener Werkstätte, die einige der Silbergegenstände hergestellt hat, existiert nicht mehr.«
Sein Zorn war spürbar, als er einige Tage später, er hatte ja keine Wahl, das italienische Angebot annahm. »Ich möchte betonen«, schrieb Erni, »dass es vorher bekannt gegeben werden sollte, wenn die italienische Regierung ohne die Vorlage von Rechnungen etc. nicht über einen gewissen Betrag hinausgehen möchte. In meinem Fall hätte es mir unendlich viel Arbeit und Mühe erspart, jedem Gegenstand seinen wahren und keineswegs übertriebenen Wert zuzuschreiben.« Er konnte sich nicht vorstellen, dass es noch mehr als zwei Jahre dauern würde, bis die italienische Regierung die Auszahlung genehmigte, und dass er die Summe erst im September 1958 erhalten würde, mehr als fünf Jahre, nachdem er die Forderung eingebracht hatte.
Gefangennahme
DIE VERFOLGUNG, DIE im Jahr 1938 aus den österreichischen Juden die bedauernswertesten der Welt machte, wirkte letztlich doch auch zu ihren Gunsten: Die Mehrheit wurde dadurch bewogen, die Ausreise zu versuchen, solange es noch Zeit war. Auch ihre Assimilierung half ihnen, da Länder wie Australien dadurch eher
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