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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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Hoffmann in dem Vortrag »Ornament und Verbrechen« bezog, den Loos 1908 vor dem Ingenieur- und Architektenverein gehalten hatte. Damit machte Norbert nicht nur den Geschmack von Moriz und Hermine madig, sondern implizit auch die Wohnung der Gallias in der Wohllebengasse, und drückte seine Abneigung vor der Umgebung aus, in der er Gretl umworben und erobert hatte. Während Moriz und Norbert sich in diesen »erbitterten Prinzipienkampf pro & contra Hoffmann« verbissen, hörte Gretl zu, ohne etwas zu sagen oder ohne dass sie jemand um ihre Meinung gefragt hätte.
    Die nächste Auseinandersetzung zwischen Moriz und Norbert – die vierte in vier Tagen – war »ein ach so langes Gespräch«, wie Gretl notierte, doch es war die letzte. Allen war klar, dass Norbert Moriz’ Angebot nicht ablehnen konnte. So wie er dessen Hilfe gebraucht hatte, als es um seinen Militärdienst ging, so musste er auch akzeptieren, was immer ihm Moriz als Teil von Gretls Aussteuer zugestand. Das Gespräch »endete damit dass Prof. Hoffmann die Wohnung zeichnet«, schrieb Gretl, nachdem Norbert gegangen war. »Ich weiß leider nicht, ob ich mich freuen soll. Zu Wohnungen schwöre ich nicht höher wie Hoffmann, anderseits aber ist Norbert furchtbar verstimmt & meint dass Papa kein Vertrauen in ihn als Architekten hat. Für mich ist die Situation ebenso peinlich wie traurig. Ich hoffe & glaube aber, dass sich Norbert leichter hineingewöhnen wird als er glaubt & dass Alles gut sein wird.«
    Schwiegermütter im Wien des frühen zwanzigsten Jahrhunderts waren berüchtigt dafür, sich einzumischen. Als Gretl sich mit Norbert verlobte, fürchtete sie, Frau Stern würde diesem Stereotyp entsprechen. Zu ihrer Erleichterung beschränkte diese sich aber darauf, Gretls Kopfbedeckungen zu kritisieren und ihr bessere einzureden. Anfang April nahm sie Gretl zu einer Einkaufstour in die Stadt mit, wo sie ihr (trotz einer internationalen Kampagne gegen das Abschlachten von Vögeln wegen ihrer Federn) einen kleinen schwarzen, mit Reiherfedern geschmückten Hut kaufte. Solche Erlebnisse brachten Gretl dazu, ihre Meinung über Frau Stern zu revidieren, »vor der ich mich schon gar nicht mehr fürchte« und die ihr »nach jedem Mal, wo ich sie sehe, lieber wird«. Dieses Glück stand gegen Moriz’ Entschlossenheit, über ihr und Norberts Leben zu bestimmen. »Bei uns«, bemerkte Gretl, »ist Papa die Schwiegermutter.«
    Welche Rolle spielten Gretl und Norbert bei diesem Auftrag, nachdem Moriz sich durchgesetzt hatte? Wann und wie griffen sie in Hoffmanns Entwürfe ein? Gretls Tagebuch lässt vermuten, dass sie nichts zu sagen hatten. Weder sprachen sie direkt mit Hoffmann über das, was sie am liebsten gehabt hätten, noch diskutierten sie solche Anliegen mit Moriz, damit er ihre Wünsche an Hoffmann weitergab. Es gibt allerdings keinen Bericht, worüber Moriz und Hoffmann redeten; höchstwahrscheinlich gab Moriz einfach an, welche Räume Hoffmann einrichten sollte und wie viel Geld er auszugeben bereit war, und überließ den Rest dem Architekten.

Josef Hoffmanns Entwurf für Gretls Boudoir in der Unteren Augartenstraße. 1915.
    Moriz’ Entschluss, den Auftrag für sechs Räume zu erteilen, war bemerkenswert, nicht nur, weil Hoffmann in der Wohllebengasse nur fünf gestaltet hatte, sondern auch, weil die österreichische Wirtschaft durch den Krieg in eine schwere Rezession geraten war. Als Moriz im Mai 1915 an ihn herantrat, hatte Hoffmann das ganze Jahr über noch keine größeren Aufträge erhalten und sollte nur noch einen bekommen. Auch der Wiener Werkstätte ging es nicht gut, worauf Otto Primavesi in der Hoffnung auf eine Neubelebung den Posten des Geschäftsführers übernahm; Moriz wurde Vorsitzender des Aufsichtsrats, ein Hinweis darauf, wie sehr er sich der Werkstätte verpflichtet fühlte und Hoffmann, der Chefdesigner blieb, bewunderte.
    Norbert konnte seine Niederlage weder vergessen noch schweigend übergehen. Eine Woche, nachdem Moriz sich durchgesetzt hatte, sagte Norbert zu Gretl, Hoffmann würde lächerlich teuer sein. In der nächsten Woche zeigte er ihr etliche Publikationen über Architektur mit Entwürfen, die er bewunderte. Inzwischen war die Wohnung ein Thema, das Gretl fürchtete, sie wusste, es würde immer in Streit enden. Sie nahm auch Norberts Urteil hin, sie sei durch die prachtvolle Wohnung in der Wohllebengasse verwöhnt, und wünschte sich wie er, nicht an eine solche Opulenz gewöhnt zu sein. Hoffmann und seine Mitarbeiter

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