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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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sich gemeinsam damit, zu ihrem Entzücken. »Ich habe ihn so unsagbar lieb!«, schrieb sie nach ihrer ersten Planungssitzung, als sie die Wohnung immer noch nicht gesehen hatte. »Ich habe meinen Schatz von Tag zu Tag lieber«, meinte sie nach einer weiteren, als sie sie endlich zu Gesicht bekommen hatte. Binnen kurzem hatten sie drei Räume geplant, die Möbel sollten aus dem Besitz von Norberts Großmutter stammen, um Kosten zu sparen, doch Moriz und Hermine äußerten sich mit Verachtung. »Mich verletzt es so furchtbar, dass die Eltern so gar keine Hoffnung in die Wohnung setzen, und es mir so unverhohlen sagen«, schrieb Gretl Ende April.
    Zehn Tage später gaben Moriz und Hermine ein Abendessen, an dem Josef Hoffmann und Gustav Klimt sowie zwei ihrer wichtigsten Mäzene, der mährische Bankier Otto Primavesi und seine Frau Eugenia, teilnahmen. Deren Villa in Olmütz hatte zwar Franz von Krauß entworfen, doch Hoffmann richtete zwei der Räume ein, gestaltete das Erdgeschoß ihrer Bank und entwarf ihr Landhaus in Winkelsdorf. Die Primavesis kauften auch fünf Gemälde von Klimt, darunter Porträts von Eugenia und ihrer Tochter Mäda. Sie investierten 100.000 Kronen in die Wiener Werkstätte, als diese eine Aktiengesellschaft wurde, und ersetzten bald Fritz Wärndorfer als die wichtigsten Financiers.
    Bei der Einladung zu Moriz und Hermine konnten die Primavesis nun etwas Ähnliches sehen, wie sie es in Olmütz hatten: ein Gebäude von Krauß mit Hoffmann-Zimmern, in denen Klimt-Gemälde hingen und die mit Objekten der Wiener Werkstätte ausgestattet waren. Doch bei aller Ähnlichkeit konnten die Primavesis, als sie sich die Wohnung in der Wohllebengasse ansahen, nur einen vertrauten Gegenstand entdecken, ein Lederkörbchen mit Henkel, in dem die Haus- und Speisekammerschlüssel aufbewahrt wurden. Otto Primavesi hatte das erste dieser Körbchen bei Hoffmann für Eugenia bestellt, ihr Monogramm zierte den Henkel. Hermine besaß eine spätere Version ohne Monogramm.
    Gretl war den meisten Abend über nicht recht bei der Sache, da Norbert und sie gestritten hatten, aufgeregt wegen der Gäste war sie aber doch, wie die Ausrufezeichen bei deren Auflistung im Tagebuch erkennen lassen. Hermine und Moriz hatten zwar schon früher Klimt und Hoffmann zu Gast gehabt, doch dieses Abendessen war das erste, an dem Gretl als Erwachsene teilnahm. Wie sie Klimt beschrieb, war aufschlussreich. Da er keinen Titel hatte, verliehen ihm seine Bewunderer oft von sich aus einen; Mäda, die Tochter der Primavesis, bezeichnete ihn als Professor – eine Stellung, die er angestrebt, aber nie erhalten hatte –, Gretl nannte ihn »Meister«, ein Ausdruck der Ehrerbietung für die größten Maler, Schriftsteller und Musiker. Sie hatte keine Ahnung, dass Moriz und Hermine, nachdem Norbert und sie sich zurückgezogen hatten, Hoffmann einen neuen Auftrag anboten. Er sollte sechs Zimmer in Norberts und Gretls Wohnung gestalten, Hoffmanns erster Auftrag im zweiten Bezirk, was implizit unterstrich, wie sehr Gretl den Erwartungen ihrer Klasse trotzte, wenn sie dorthin zog.
    Als Norbert drei Tage später zum Abendessen kam, entdeckten er und Gretl, was Moriz und Hermine ausgeheckt hatten. Viele Schwiegersöhne wären begeistert gewesen, ihre Wohnung vom fashionabelsten Wiener Architekten eingerichtet zu bekommen. Aber Norbert war sofort beleidigt, da er einen anderen Geschmack hatte, seine Wohnung selbst gestalten wollte und weil Hoffmanns Honorar aus Gretls Mitgift kommen würde, die, wie Norbert gehofft hatte, seinen eigenen Geldmangel ausgleichen sollte. Je mehr Moriz redete, desto verärgerter und schweigsamer wurde Norbert. »Man ließ uns 2 nicht eine Sekunde allein«, klagte Gretl, nachdem Norbert endlich nachhause gegangen war. »Es war scheußlich.«
    Der Konflikt setzte sich am nächsten Abend fort, als Norbert wieder zum Abendessen kam: »alles, was schön gewesen, wurde durchs Nachfolgende zerstört«, schrieb Gretl. Auch den Zwillingen machte es Freude, auf Norbert herumzuhacken, nachdem er gegangen war; Gretl dachte, sie würden erst aufhören, wenn sie ihn »zerpflückt« hätten. Als sie zu weinen begann, fuhr Moriz sie auf eine Weise an, die sie gar nicht an ihm kannte, und erklärte, sie sei die dümmste Person, die er kenne. Der nächste Tag war mindestens ebenso schlimm. Gretl fand es »recht peinlich«, als Norbert »leider« in Hoffmanns Arbeit hundert Fehler fand, wobei er sich höchstwahrscheinlich auf Adolf Loos’ Kritik an

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