Wolf Shadow 01 - Wilks, E: Wolf Shadow 01
Sicherheitsfragen legte sich niemand mit Benedict an. Es legte sich auch sonst kaum jemand mit Benedict an. Punkt.
Zumindest wusste Rule, dass der Rho in Sicherheit war. Abgesehen von einem Angriff der U.S. Air Force konnte nichts und niemand seinem Vater etwas anhaben, solange Benedict da war. „Gib Toby einen Kuss von mir“, sagte er zu Nettie. „Ich melde mich wieder.“ Er drückte die Trenntaste und schob das Handy in seine Jackentasche.
Dann blieb er eine Weile regungslos sitzen. Er hatte Angst. Um seinen Vater, um seine Leute und um sich selbst. Der Anführer der Nokolai war zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt handlungsunfähig gemacht worden.
Aber genau darauf hatten es Isens Angreifer natürlich angelegt. Rule stand auf und ging, angelockt von einem wunderbaren Duft, zur Bar. „Ah, mein Kaffee ist fertig!“
„Ich begreife nicht, wie du so etwas trinken kannst“, sagte Max.
Cullen grinste und schob einen Becher über den Tresen, in dem sich Kaffee aus Rules privatem Kaffeebohnenvorrat befand.
„Alles eine Frage des Geschmacks.“ Er konnte seine Schultern lockern. Er konnte seinen Gesichtsausdruck, seine Stimme und bis zu einem gewissen Grad auch seinen Geruch kontrollieren. Aber er konnte nichts gegen die Nervosität tun, die in ihm aufstieg und die ihn so rappelig machte wie einen Chihuahua auf Koffein. „Der Laden ist wirklich die Hölle, wenn das Licht an ist“, bemerkte er und setzte sich auf einen Barhocker.
Max stellte seinen Becher ab – in dem sich irischer Whiskey und kein Kaffee befand – und hüpfte auf den Hocker neben Rule. „Das ist doch genau der Punkt!“
„Aber das hier ist eher wie die Hölle am Morgen danach. Erinnert mich an den Jahrmarkt, wenn es dunkel wird und Licht und Musik den billigen Kitsch mysteriös und geheimnisvoll erscheinen lassen.“
„Es ist, verdammt noch mal, fünf Uhr in der Frühe – was erwartest du? Und erzähl mir bloß nichts von Jahrmärkten! Das weckt unangenehme Erinnerungen an meine Jahre in der Kuriositätenshow.“
„Du warst mal in einer Kuriositätenshow?“, fragte Cullen, der auf der anderen Seite des Tresens geblieben war. Er war wieder einmal ziemlich unruhig und spielte mit allem herum, was nicht niet- und nagelfest war. „War das vor oder nach dem Krieg?“
„Welchen meinst du? Menschen sind Arschlöcher!“ Max leerte seinen Becher zur Hälfte und rülpste zufrieden. „Jetzt lass doch mal die verdammten Gläser in Ruhe!“
Cullen polierte weiter an dem Glas herum, das er in die Hand genommen hatte. „Ich meine den Zweiten Weltkrieg. Was den angeht, lügst du nämlich immer.“
„Neid.“ Max schüttelte traurig den Kopf. „Daran krankt die junge Generation. Und es mangelt ihr auch an Respekt.“
Cullen stutzte. „Du zählst mich zur jungen Generation?“
„Ihr seid alle jung. Kinder seid ihr, jeder Einzelne von euch, und ihr hetzt die ganze Zeit herum wie verrückt, damit ihr nicht mitbekommt, wie schnell das Leben vorbei ist.“ Max zog ein silbernes Etui aus der Jackentasche, öffnete es und nahm eine der billigen Zigarren heraus, mit denen er gern die Luft verpestete. „Seht euch zum Beispiel mal an, wie ihr die Wahrheit idealisiert – die Wahrheit sagen, die Wahrheit finden …“ Er schnaubte. „Finden! Als würde sie irgendwo herumliegen und nur darauf warten, dass sie jemand aufhebt. Kindisch! Die Leute brauchen Geschichten, nicht die Wahrheit. Was ihr eigentlich wollt, sind Antworten, damit ihr sie euch nicht selbst erarbeiten müsst.“ Er holte sein Feuerzeug aus der Tasche. „Zugegeben, zum Nachdenken braucht man natürlich Zeit.“
„Nicht!“, sagte Rule matt.
Max hielt inne und betrachtete ihn eine Weile. Dann legte er das Feuerzeug weg. „Ist was mit deinem Vater?“
„Der Rho heilt seine Verletzungen aus. Sorry, ich wollte nicht, dass du denkst, es sei etwas nicht in Ordnung.“ Rule verzog das Gesicht. „ Noch etwas, besser gesagt.“
„Du bist ja total durcheinander“, stellte Cullen überrascht fest.
Rule überlegte einen Moment, was er sagen sollte. Max und Cullen waren seine Freunde. Und zurzeit waren sie auch seine Kollegen, sozusagen. Aber sie waren keine Nokolai. „Keiner von uns hat erwartet, dass sie so früh zuschlagen. Und ich habe nicht damit gerechnet, dass es so persönlich werden würde.“ Er dachte an Rachel, an ihre roten, verquollenen Augen, in denen nichts anderes zu lesen gewesen war als tiefe Trauer. „Das war ein Fehler.“
„Sich im Nachhinein
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