Wolf Shadow Bd. 2 - Magische Versuchung
würden nicht ihren Augen die größte Aufmerksamkeit geschenkt haben. Nicht als Erstes. Alles, was ihre Blicke sofort auf sich ziehen würde, waren ihre Tattoos.
„Cynna!“, rief Rule.
Zwischen den indigofarbenen Windungen, die sich von ihrer Wange bis hinunter zum Kinn schlängelten, zogen sich ihre Mundwinkel nach oben. „Hallo Rule. Du freust dich sicher, mich zu sehen, was?“
„Du hast ein paar neue.“ Rule zog sich einen Stuhl heran.
Nach einem kurzen Moment der Verwirrung hatten sich Lily, Rule, Karonski und der unerwartete Zuwachs in ihrem Team in den kleinsten der privaten Dinnerräume des Restaurants zurückgezogen. Darin befanden sich ein Tisch, sechs Stühle und eine Kaffeekanne.
„Mehr als ein paar, aber manche zeige ich lieber nicht vor so feinen Leuten.“ Die Zeichnungen auf ihren Wangen kamen in Bewegung, als sie lächelte. „Verdammt, siehst du gut aus. Du hast dich kein bisschen verändert. Vielleicht möchtest du dir später ein paar von meinen anderen neuen Tattoos ansehen?“
Lily saß auf dem Stuhl, dessen Lehne Rule umfasst hielt. Wahrscheinlich, dachte sie, tat sie gut daran, sich daran zu gewöhnen, dass Frauen Rule diese Art von Angeboten machten. Das war sicher nicht das letzte Mal, dass das passierte.
Karonski setzte seine Tasche ab, zog einen der Stühle zu sich hin und setzte sich. „Verdammt, Cynna, ich habe dir gesagt …“
„Ah, Cynna.“ In Rules Lächeln lag ein Hauch von Bedauern. „So verführerisch das Angebot auch ist, aber ich muss ablehnen. Ich bin nicht mehr ungebunden.“
Die Augenbrauen der Frau gingen in die Höhe. Als sie Lily ansah, war ihr Ausdruck unter all den Tattoos schwer zu deuten. Aber sie sah nicht freundlich aus.
Lily fand, dass ihr Kopf zu sehr schmerzte, um sich jetzt mit dieser unerwarteten Enthüllung aus Rules Vergangenheit auseinanderzusetzen. Aber sie wusste, was für eine Wirkung die Entdeckung auf sie hatte. Sie war sauer. Aber auf wen?
Vielleicht auf Karonski, der sie ohne jede Vorwarnung mit Cynna Weaver einfach so überfallen hatte. Sie fragte sich, ob Weaver mit einem Vollstreckungsbefehl des Justizministeriums hier war – einem Befehl, der vom Justizminister selbst unterzeichnet worden war. Der vorläufige Direktor des FBI machte in dieser Hinsicht Druck, doch bisher hatte sich der Justizminister nicht überzeugen lassen. Das war keine Überraschung. Die politischen Konsequenzen waren nicht abzusehen, denn die Vollstreckungsbefehle des Justizministers waren bisher nur gegen Nichtmenschen erlassen worden.
Wie die Lupi.
Aber Karonski hatte ihr klargemacht, dass Weaver Mitglied der Einheit war. Sie war hier, um zu helfen, Harlowe zu finden, nicht, um ihn umzubringen. Lily wendete sich ihm zu. „Was haben Sie ihr denn über uns erzählt?“
„Dass sie sich benehmen soll. Rule ist vergeben.“ Er sah in die Runde. „Hat nicht jemand etwas von einem Kaffee gesagt?“
Lily hätte gelächelt, wenn ihr der Kopf nicht so wehgetan hätte. Karonksi war ein übergewichtiger Weißer, grundsätzlich schlecht gekleidet, starrköpfig und zäh genug, um jeden Mistkerl zu überleben, und mit einem unerschütterlichen Glauben an Koffein gesegnet. Und er war ihr Boss. „Klar. Dort drüben steht er. Bringen Sie mir eine Tasse mit.“
Er stieß einen Seufzer aus und ging, um die für ihn lebenserhaltende Maßnahme zu ergreifen.
Ihr kleiner Zufluchtsort war eigentlich für geschäftliche Besprechungen vorgesehen. Aber die Anzugleute hatten wohl jetzt, da es von Polizisten nur so wimmelte, beschlossen, dass es nicht der ideale Zeitpunkt war, eine Firmenfusion oder -übernahme zu besprechen. Also hatte Karonski den Raum und den Kaffee in Beschlag genommen. Während die vier sich berieten, tat die Spurensicherung ihre Arbeit – sie waren gleich nach Karonski eingetroffen –, und andere Polizisten notierten die Namen und Adressen aller Anwesenden in dem Restaurant.
Das betraf – zur großen Empörung ihrer Mutter – auch alle Hochzeitsgäste. Susan und ihr frischgebackener Ehemann hatten gehen dürfen – doch sie waren bisher die Einzigen, die die Erlaubnis erhalten hatten. Lilys Eltern bemühten sich, ihre Gäste zu beruhigen, und die Großmutter hatte Li Quin angewiesen, sie nach Hause zu bringen. Die Polizei würde selbstverständlich versuchen, sie aufzuhalten, aber Lily war bereit, ihr ganzes Vermögen auf ihre Großmutter zu setzen.
Es war komisch, einmal auf der anderen Seite zu stehen. „Croft ist also schon in Virginia?“,
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