Wolf Shadow Bd. 2 - Magische Versuchung
umrundet hatte, hätte Lily schwören können, dass ihr Kopf weniger schmerzte. „Hast du wirklich etwas getan, oder fühle ich mich besser, weil ich glaube, dass du etwas getan hast?“
Nettie kicherte. „Ist das denn wichtig? Du kannst dich wieder hinsetzen. Ich möchte mir deine Schulter ansehen. Die Wunde ist wieder aufgegangen, hast du gesagt?“
„Wahrscheinlich, als ich gefallen bin.“ Rule half ihr, die Verschlüsse zu öffnen, die die Schlinge zusammenhielten, und zog ihren Arm heraus. „Es hat nicht sehr geblutet. Bestimmt ist alles in Ordnung.“
Nettie hielt Wort und war nicht bereit, ihrer Patientin zu glauben, ohne sie gründlich unter die Lupe genommen zu haben. In ihrem halterlosen Büstenhalter und dem abgestreiften Oberteil ihres Kleides begann Lily gerade, eine Gänsehaut vor Kälte zu bekommen, als ihr Handy klingelte.
Als sie danach greifen wollte, packte Nettie Lilys unverletzten Arm. „Oh nein. Ich bin noch nicht fertig.“
„Ich gehe dran“, sagte Rule. Er nahm das Handy aus ihrer Handtasche. „Ja?“ Er horchte. „Sie wird gerade untersucht … Dr. Two Horses. Warum?“
Lily wurde unruhig. Sie wollte an ihr Telefon. „Ist das Karonski?“
„Die Verbrecher können warten“, sagte Nettie. „Jetzt habe ich ein anderes Rätsel für dich, das du lösen kannst. Mit deiner Wunde stimmt etwas nicht.“
„Was meinst du damit?“
„Ich empfange eine Art von … Dissonanz, ja, das beschreibt es wohl am besten. Etwas, das da nicht hingehört. Du bist die Sensitive. Berühr die Wunde und sag mir, was ich meine.“
Lily zuckte mit der gesunden Schulter. „In Ordnung, aber Magie bleibt an mir nicht hängen, also verstehe ich nicht, was …“ Aber sie verstummte, als sie die Haut um die Wunde herum berührte.
„Du fühlst etwas.“
„Ja.“ Besorgt strich Lily mit den Fingern über den kreisrunden Schorf, die Stelle, an der sie vor drei Wochen eine Kugel getroffen hatte. Eigentlich durfte sie dort gar nichts fühlen, aber es war so. „Orange. Es fühlt sich Orange an.“
„Mist, verdammter.“
Lily fuhr herum, als sie Rule mit unterdrückter Stimme fluchen hörte, aber er meinte nicht sie, sondern Karonski. „Was?“, wollte sie wissen. „Hat Karonski etwas herausgefunden?“
Er schüttelte den Kopf und lauschte weiter. „Na gut“, sagte er widerstrebend, „obwohl Sie unrecht haben.“ Und er reichte Nettie, nicht Lily, das Telefon.
„Wenn dieser Idiot meint, er brauche die Erlaubnis meiner Ärztin, um mir mitzuteilen, was er gefunden hat …“
„Nein.“ Rules Stimme klang heiser. Er sah erst Nettie an, dann Lily und wandte dann den Blick ab. „Das ist es nicht.“
Netties Blick schnellte zu Lily. Sie hörte kurz zu, mit professionell-neutralem Gesichtsausdruck und sagte dann: „Ja, das kann ich tun. Das Ritual selbst dauert nicht lange, aber die Vorbereitung wird ungefähr eine Stunde dauern.“
Lilys Kopf pochte im Rhythmus ihres plötzlich beschleunigten Herzschlags. „Wenn mir nicht endlich jemand sagt, was los ist, dann explodiere ich.“
Dieses Mal senkte Rule nicht den Blick, als er sie ansah. „Cynna hat deinen Angreifer identifiziert. Karonski hat es bestätigt. Du bist von einem Dämon angegriffen worden. Er will sichergehen, dass er nicht immer noch … in dir ist.“
4
Da es Wochenende war, spielte eine Live-Band im Cactus Corral. Musik dröhnte durch den Raum und hämmerte gegen die Trommelfelle, ein ohrenbetäubendes Jammern von Steelgitarren in gnadenlosem Rhythmus. Diese Musik war wie ein Rammbock – dafür gemacht, Hemmungen niederzureißen, damit die Gäste offen für Alkohol und Drogen waren und sich mit den anderen Körpern zusammen auf der Tanzfläche austobten. In der donnernden Dunkelheit war es einfach, mit einem vollkommen Fremden zu tanzen; den Job, den man verloren, die Frau, die einen verlassen hatte, unbezahlte Rechnungen und unerfüllte Träume zu vergessen.
Nur neben dem Mann mittleren Alters mit dem Schnurrbart in der Farbe schwachen Tees und den strahlend weißen Zähnen war noch ein Platz frei. Er war schlank, aber nicht athletisch gebaut und sah wie ein Buchhalter aus, der mit seinem Körper genauso sorgsam umging wie mit dem Geld seiner Klienten. Obwohl er ein wenig älter war als die meisten anderen, fiel er nicht besonders auf. Aber trotz der zahlreichen Gäste, die sich an der Bar drängten und um die Aufmerksamkeit des Barkeepers wetteiferten, blieb der Platz neben ihm frei. Und niemand schien es zu
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